Mortal Kiss
voller Blutvergießen, Hunger und Qual .«
»Das verstehe ich nicht « , sagte Liz. »Warum hat Mercy euch zu Werwölfen gemacht? Was solltet ihr tun ?«
»Wir haben für sie gejagt « , seufzte Joe. »Wir gehörten zu ihrem Wolfsrudel, ich war sogar sein Anführer. Weißt du, Mercy Morrow ist viel älter als das Älteste, was du dir vorstellen kannst. Seit Jahrtausenden pirscht sie durch alle Länder der Erde, ohne je ihre herrliche Menschengestalt zu verlieren, und sie hat nicht die Absicht, das Zeitliche zu segnen. Sie und ihresgleichen verbringen all ihre Zeit damit, dem Tod immer wieder ein Schnippchen zu schlagen und sich ihre Jugend und Schönheit zu bewahren .«
»Aber wieso schafft sie das, indem sie Menschen in Wölfe verwandelt ?« , fragte Faye. Sie sah zu Jimmy rüber, der versuchte, wach zu bleiben und Joes Geschichte zu hören. »Haben sie das auch bei Jimmy versucht ?«
»Es gibt eine Unterwelt « , erklärte Joe. »Sie heißt Annwn und steckt voll von dem, wovor man sich am meisten fürchtet, voller alter, ewiger und grausamer Geschöpfe. Nichts kann diese Wesen besiegen. Wir können nur hoffen, dass niemand von uns und von denen, die wir lieben, in ihrem Herrschaftsbereich endet. Hier auf der Erde haben wir Glück, denn sie können in unserer Welt nicht überleben. Doch in Annwn sind sie unglaublich mächtig. Und Mercy und ihresgleichen haben einen Weg gefunden, sich mit ihnen auszutauschen .«
»Aber warum ?« , fragte Faye.
»Weil sie wussten, dass sie Annwns Bewohnern das geben können, was diese Kreaturen wollen: menschliche Gefühle, menschliches Leben. Stell dir vor, du hättest noch nie etwas gegessen und würdest nun erstmals etwas schmecken. Würdest du da nicht mehr haben wollen ?« , fragte Joe. »Und Mercys Leute haben die bösen Geister von Annwn mit dem Geschmack menschlicher Empfindungen bekannt gemacht, und diese Geister haben mehr davon verlangt. So viel mehr, dass sie alles nehmen, was sie bekommen können, wobei sie desto mehr zahlen , je reiner und ursprünglicher die Gefühle sind. Sie weiden sich an der Angst. Darum die Jagd, die die Beute so sehr in Schrecken versetzt. Aber Liebe, wahre, ewige und selbstlose Liebe ist eines der seltensten Gefühle, die es gibt. Man kann es nicht simulieren. Keiner kann jemanden dazu bringen, einen anderen zu lieben, weder mit Zaubertränken noch mit stärkster Magie. Wahre, echte Liebe tritt plötzlich auf, ungebeten und unerwartet. Und dieses Gefühl « , setzte der Biker leise hinzu, »hat Mercy mir geraubt. Und dafür lässt Annwn sie zur Belohnung für immer jung und schön bleiben .«
Faye blickte ins Feuer und versuchte, all das zu begreifen. Es schien zu abstrus, um wahr zu sein, und doch wirkte Finns Vater absolut ernst. Sie wusch dem Jungen das restliche Blut von der Brust, nahm ihren Blechbecher mit Kaffee und wärmte nachdenklich die Finger daran.
»Aber nun stehen Sie nicht mehr unter ihrem Zauber ?« Faye runzelte die Stirn und fragte sich, ob sie Joe trauen konnten. Er schien eine ehrliche Haut zu sein, und sie wollte ihm glauben, doch er war immerhin ein Werwolf. Aber das war Finn auch, und Faye wusste inzwischen, dass sie ihm ihr Leben anvertrauen konnte, wenn es nötig war. Und das musste Finn ja von irgendwem haben, oder?
Joe nahm einen Schluck Kaffee und schüttelte den Kopf. »Einige meiner Brüder haben die Jagd geliebt und sich gern in einen Wolf verwandelt. Ich nicht. Ich habe es gehasst, anderen Angst zu machen, und vielleicht hat mir das erlaubt, mir ein wenig Menschlichkeit zu bewahren. Das und die Tatsache, dass Mercy erstmals seit langer, langer Zeit Zuneigung für jemand anderen als sich selbst verspürte. Für mich .«
»Mercy war in Sie verliebt ?« , fragte Liz.
Joe nickte und sah weg. »Ich weiß nicht, warum, aber es war so. Ich war mehr für sie als nur ein weiterer Mensch, den sie missbrauchen konnte. Sie vertraute mir. Und dann … hat sich etwas verändert. Ich konnte etwas gegen sie ausrichten, wenn auch nur wenig. Ich vermute, die Liebe, die sie für mich empfand, lockerte ihren Zugriff auf meine Seele. Echte Liebe kann letztlich nicht anders als selbstlos sein. Also begann ich möglichst viel über ihre Magie zu lernen und darüber, wie sie mit Annwn verhandelte .«
»Warum ?« , fragte Liz. »Was hat Ihnen das gebracht ?«
»Dass ich wusste, was ich den Bewohnern dort anbieten konnte. Etwas Größeres als das, was Mercy und ihresgleichen je mit ihnen getauscht hat. Das reichte, um mich und
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