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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heinisch
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inzwischen nicht mehr in der Old Dutch Road Nummer 7 wohnte. Und dann würde Mortimer antworten, und dann würden sie vielleicht mehr über ihn und Miss Molly erfahren – bis dahin allerdings mussten sie die Geschichte, die er ihnen zu erzählen begonnen hatte, aus ihrem eigenen Garn weiterspinnen.
4
    To be continued
. Wo waren sie in ihrem Fantasiespiel stehengeblieben? Ach ja. Sie hatten Mortimer hinter Miss Molly die Treppe hinaufsteigen lassen. Und jetzt hatten sie die beiden dort oben, im zweiten Stock des schmalen Hauses. Und da standen sie also einander gegenüber.
    E allora?
, sagte Marco. Was machen wir jetzt mit ihnen?
    Wir fühlen uns ein, sagte Julia. Wir versetzen uns in ihre Haut.
    Miss Molly mustert Mortimer mit diesem intensiven Blick, den sie sich von nun an öfter erlauben wird. Von oben bis unten mustert sie ihn, vom Helm uniformabwärts bis zu den Schnürstiefeln.
    Und dann?
    Dann sagt sie:
You should probably take a bath
.
    Diese Worte kamen Julia spontan in den Sinn. Sie hörte direkt, wie Miss Molly sie sagte. Selbstverständlich sprach Miss Molly ein überaus gepflegtes Englisch.
    Mortimer. Molly. Tag
. Das schmale Badezimmer im Mauerhaus. Eine emaillierte Sitzbadewanne, die auf vier pfotenartigen Füßen steht. Die Sitzbadewanne, in der sonst Miss Molly sitzt. Nun darf der verdreckte Soldat darin sitzen – oder nein, er steht eher aufrecht und gießt sich Wasser aus einem Kanister über Kopf und Körper.
    Im Prinzip hat Miss Molly dort oben Fließwasser. Die Bianchis sind ja eine noble Familie, bestimmt ist das Mauerhaus, das sie ihrer Gouvernante zur Verfügung gestellt haben, komfortabel eingerichtet. Doch jetzt ist Krieg, und der Strom, der hier, dem antiken Aussehen des Hauses zum Trotz, früher eingeleitet worden ist als in den meisten anderen Häusern von San Vito, der Strom fällt immer wieder aus. Und wenn der Strom ausfällt, kann das Wasser nicht in die oberen Stockwerke gepumpt werden.
    Darum braucht man einen Wasservorrat hier oben. Den bringt Ferruccio, das Faktotum der Familie Bianchi. Zwei Mal die Woche kurbelt er emsig unten am alten Brunnen, der vor dem Krieg nur mehr zur Gartenbewässerung benutzt wurde, holt Eimer für Eimer Wasser aus der Tiefe und füllt es in Blechkanister. Und im Schweiß seines Angesichts schleppt er diese Kanister dann die vielen Stufen zu Miss Molly hinauf.
    Einiges von diesen wertvollen Wasservorräten wird der Soldat nun verbrauchen. Auch ein Stück Seife hat ihm Miss Molly geopfert. Das ist ein wirkliches Opfer, denn so leicht bekommt man bei der Versorgungslage im Jahr 1944 auch in vergleichsweise privilegierter Position keine neue. Und der Soldat hat sich eingeseift, und jetzt duscht er sich ab, aber für einen großen Menschen wie ihn ist der Inhalt eines solchen Kanisters offenbar zu wenig.
    Miss Molly hat sich das anscheinend schon gedacht, jedenfalls schleppt sie nun noch einen weiteren Kanister heran, einen von denen, die ihr Ferruccio in die Küche gestellt hat. Und dann will sie die Tür zum Badezimmer eigentlich nur einen Spaltbreit öffnen und den Kanister hineinschieben, aber so klein dieser Raum auch ist, von der Tür bis zur Wanne sind es doch ein paar Schritte. Und ist es nicht idiotisch, wenn der Mann, der in der Wanne steht, bis an die Waden im schon recht erdig gefärbten Wasser, jetzt plitsch, platsch heraussteigen muss auf die sauberen Fliesen? Also betritt Molly den Raum, übertritt seine Schwelle, was soll’s, schließlich handelt es sich um
ihr
Badezimmer.
    Sie ist eine starke Frau, Miss Molly, auch wenn man ihr das nicht auf den ersten Blick ansieht, sie hat den Kanister aus der Küche bis hierher getragen. Sie hält einiges aus, auch den Anblick eines nackten Soldaten, dessen Uniformstücke auf einem Haufen neben der Wanne liegen, die dubiose Unterwäsche obenauf. Zuerst, nachdem sie den Kanister abgestellt hat, in Reichweite für Mortimer, dessen Namen sie noch nicht kennt, dem sie aber dabei ziemlich nahe gekommen ist, hat sie gleich wieder umkehren wollen, sich gleich wieder abwenden von diesem nackten Menschen, den ihr Blick bis dahin nur gestreift hat, aber dann hält sie ein paar Sekunden über diesen Augenblick hinaus inne und schaut, ganz bewusst, und recht ungeniert.
Don

t stare
, hat ihre Mutter gesagt, aber jetzt, spät aber doch, schüttelt die inzwischen sehr erwachsene Tochter die Hemmung, die ihr dieses Gebot durch fast vier Jahrzehnte ihres Lebens auferlegt hat, einfach ab und merkt, dass und wie sie

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