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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heinisch
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vor sich, die wegen seiner Fahrlässigkeit in eine Krise geraten oder schon tot waren.
    Glücklicherweise war nichts davon der Fall. Alles schlief. Nur Schwester Laura wachte. Auf sie war Verlass. Diese Schwester Laura war ein Schatz. Na?, sagte sie. Haben Sie Ihre Mamma ein bisschen beruhigen können?
    Er hatte ihr ein wenig von seiner Mutter und den Problemen, die er mit ihr hatte, erzählt. Sie hatte übrigens auch etwas Mütterliches. Aber etwas ganz anders Mütterliches als seine Mutter. Ja, sagte er. Er habe seine Mamma beschwichtigt.
    Und hier war hoffentlich alles in Ordnung inzwischen?
    Aber gewiss doch, lächelte Schwester Laura. Man könne zwar nicht sagen, dass alle gesund und glücklich seien. Aber niemand habe geklingelt oder gerufen, und so Gott will, sagte sie, haben alle angenehme Träume.
    Keineswegs war es so, dass er ihr nichts von Julia erzählt hatte. Im Gegenteil. Er war ja stolz auf seine
ragazza Viennese
. Beiläufig hatte er sie sogar seine
fidanzata
genannt, seine Verlobte. Aber dass er in einem skurrilen Eifersuchtsanfall aus dem Nachtdienst weggerannt war, wollte er der Schwester Laura nicht eingestehen.
    Also musste die Mutter als Ausrede dienen. Die arme Mamma, die diesmal gar nichts dafür konnte. Sie hatte sich damit abgefunden, dass ihr Sohn sie jetzt etwas seltener besuchte. Er macht das erste Jahr seiner Spitalspraxis in Alessandria, sagte sie zu den paar alten Freundinnen, die sie ab und zu anriefen, er ist Feuer und Flamme, er wird bestimmt ein großartiger
medico
.
22
    Es kommt darauf an durchzuhalten, schrieb Marco, das war ein interessanter Satz. Eine Botschaft, die er nicht nur an Julia richtete, sondern auch an sich selbst. Im Zusammenhang des Briefs, den er Mitte Oktober schrieb, fast eine Beschwörung. Wir werden durchhalten,
Carissima,
con tutta la forza del nostro amore
.
    Durchhalten und all den Anfechtungen und Versuchungen, die uns gefährden, widerstehen. Als da wären: verfliegendes Vertrauen, anbrandende Mutlosigkeit, an der Seele nagende Eifersucht.
    Was für Formulierungen! Julia musste beim Lesen der Briefe, die Marco in dieser Phase schrieb, viel im Diktionär blättern. Aber Fulvio, dessen bereitwillige Hilfe in Sachen Italienisch sie sonst gern in Anspruch nahm, gerade
ihn
auch als Übersetzungshelfer für Marcos Herzensergießungen heranzuziehen, wäre ihr doch etwas unpassend erschienen.
    Natürlich gaben ihr diese Briefe auch zu denken. Aber was sollte sie tun, um Marco zu beruhigen?
Caro Marco
, schrieb sie, es ist ja alles – und nun suchte sie eine passende Übersetzung für:
halb so wild
. Im Wörterbuch fand sie keine. Vielleicht konnte sie doch Fulvio fragen.
    Sie musste ihm ja nicht sagen, dass sie die Phrase für einen Brief an Marco brauchte. Es ist ja alles, schrieb sie vorläufig, nicht so ein Drama.
Non è una tragedia unica
, schrieb sie arbeitshypothetisch. Wir lieben uns doch. Was kann uns da schon passieren?
    Das allerdings war vielleicht eine etwas zu einfache Darstellung der Sachlage. Natürlich konnte ihnen alles Mögliche passieren. Natürlich konnten sie auseinandergeraten. Realistisch betrachtet waren sie ein Paar, das nach einem vielversprechenden Anfang, von dem sie nun im Strom ihres Alltags von Woche zu Woche weiter weg drifteten, nicht so ohne weiteres wieder zusammenkam.
23
    Dagegen mussten sie sich etwas einfallen lassen. Es kam nicht nur darauf an durchzuhalten, sondern auch darauf, eine Perspektive zu haben. Gab es nicht eine Gelegenheit, einander möglichst bald wieder zu treffen? Trotz oder gerade wegen der Enttäuschung von Verona?
    Was das betraf, half auf die Dauer kein falscher Trost. Etwa in dem Sinn, dass Sex doch nicht alles sei und der beiderseitige gute Wille fürs Werk stehe. Die Enttäuschung, die sie unmittelbar danach abzufangen versucht hatten (und damit hatten sie einander ja vorerst geholfen), diese Enttäuschung wirkte nach. Bei ihm, wie es schien, noch etwas stärker als bei ihr.
    Sein Alltag war einfach strapaziöser und trister. Diese Traurigkeit und Leere am Morgen nach den Nachtdiensten! Und nach den Tagdiensten, schrieb er, die einsamen Nächte! Er brauche zumindest einen schmalen Lichtstreifen am Horizont.
    Zwei Tage in Wien, sagte er am Telefon, das ließe sich vielleicht machen. Was hältst du davon,
amore
?
    Wunderbar!, sagte Julia.
    Im ersten Moment empfand sie bei dieser schönen Aussicht nichts als Freude. Dass diese zwei Tage jedoch die ersten beiden Tage im November sein sollten, stimmte sie

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