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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heinisch
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sympathisch. Und dann war schon März und dann Anfang April, und da hatten sie bereits das Gefühl, mehr als die Hälfte der Strecke, die sie zurücklegen mussten, um wieder zusammenzukommen, hinter sich zu haben.
    Allerdings war die ganze Zeit über nicht ganz klar, wann Marco eigentlich Urlaub bekäme. Das hing von der Koordination der Dienste im Krankenhaus ab. Er ging davon aus, dass es im Sommer sein würde, aber davon gingen auch die meisten seiner Kollegen und Kolleginnen aus, die ihren Urlaub partout am Meer verbringen wollten. Daher herrschte für die Monate Juli und August einfach die größte Nachfrage.
    Und dann rief Marco eines Abends Mitte Mai bei Julia an. So wie es aussehe, sagte er, könnte er schon Anfang Juni für zwei Wochen vom Spital weg. Das seien zwar etwas weniger zusammenhängende Urlaubstage, als die, die er für den Sommer erhofft habe. Aber anderseits sei Anfang Juni, das habe er sich sagen lassen, für die Gegend da unten fast die schönste Zeit.
    Im Verlag, in dem ohnehin eine andere Volontärin wegen Schwangerschaft ausfiel, war man von Julias Ankündigung, dass auch sie für die erste Hälfte Juni schlicht und einfach nicht zur Verfügung stehe, alles andere als angetan. Und an der Uni versäumte sie dadurch wieder einmal zwei Prüfungstermine. Doch diese Prüfungen, redete sie sich ein, seien ohnehin nicht so wichtig. Und was war schon wichtig, verglichen mit Marco und San Vito.

Vier
1
    Sie hatten vereinbart, einander in Siena zu treffen. Sie wollten alles so anlegen wie im Vorjahr. Marco holte Julia vom Bahnhof ab, er umarmte sie so fest, dass ihr fast die Luft wegblieb. Auf dem Bahnhofsvorplatz wartete die Ente, sie stiegen ein und fuhren auf der Via Cassia nach Süden.
    Und es war Anfang Juni, die Landschaft blühte. Manche Felder wogten noch grün, da und dort durchsetzt von rotem Mohn, die Hügel waren sattgelb von Ginster. Und der Himmel darüber war von einem geradezu zärtlichen Blau. Und die Schafe, die zwischen Buonconvento und Torrenieri die Straße querten, waren noch nicht geschoren.
    Marco hatte diesmal nicht nur die
Minolta
dabei, sondern auch eine
Bolex
, eine Super-8-Kamera. Die brachte er während der folgenden Tage noch oft (und manchmal allzu oft) zum Einsatz. Doch auf der Hinfahrt, sosehr ihn das eine oder andere Motiv gereizt hätte, beherrschte er sich. Sie hatten es eilig, nach San Vito zu kommen.
    Und dann waren sie da, dann waren sie wirklich wieder da! Und hielten, genau wie elf Monate vorher, an der Porta Pellegrini. Und gingen durch die Via Poliziano bis zur Collegiata, an deren Portalen, soviel sie auf den ersten Blick sahen, noch alles so war, wie sie es in Erinnerung hatten. Die eleganten gotischen Skulpturen am Südportal und die eher komischen, von der Zeit und vom Wetter fast bis zur Unkenntlichkeit bearbeiteten Löwen am Westportal, nicht zu vergessen der romanische Comicstrip mit den züngelnden Ungeheuern im Architrav.
    Und dann bogen sie ab in die Via Dante, aber diesmal gingen sie nicht am
Caffè Italiano
vorbei. Und das Wiedersehen mit Philemon und Baucis, mit Pietro und Bruna also, war überaus herzlich. Sie wurden sogar geküsst, links und rechts auf die Wangen, obwohl die beiden Alten schüchterne Menschen waren. Und die Schildkröten waren auch noch da und trieben es heftig, und der Kanarienvogel trällerte.
    Und das Albergo sah noch genauso aus, und im Foyer duftete es noch ebenso nach Naphthalin wie letzten Juli und August. Und der
padrone
, Fantini, war auch noch der Alte (vielleicht hatte er allerdings einen Zahn weniger). Und hätte ihnen sogar ein besseres oder jedenfalls größeres Zimmer angeboten im
primo piano
. Aber nein, das wollten sie gar nicht, sie wollten nur das Zimmer im zweiten Stock,
il numero undici
, das sie im vorigen Jahr gehabt hatten.
    Und auch hier war noch alles an seinem Platz. Die grünen, schon etwas morschen Fensterläden, der kleine, wacklige Tisch, unter dessen zu kurz geratenes Bein man wieder ein Stück Karton würde legen müssen, und die Stühle, die ungefähr so aussahen wie der, den Van Gogh einst in der Provence gemalt hatte. Und der Schrank, dessen Tür nicht recht zuging, aber dafür manchmal eigenmächtig aufging und knarrte. Und das Bett, natürlich das Bett, das so heiter gelassen durchhing.
    Und sie ließen sich lachend hineinfallen in dieses Bett, diese Mulde, in der sie in der Mitte zusammenrollten, ob sie es nun wollten oder nicht. Und sie wollten es ja, sie wollten es sehr, womöglich

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