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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heinisch
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Restaurant einzuladen.
25
    Dann erwog Julia, nach Turin zu fahren. Zu Weihnachten, meinte sie, könnte sie sich das vorstellen. Aber kaum hatte sie das (wieder einmal am Telefon) anheimgestellt –
che ne pensi
, was hältst du davon? –, blockte Marco auch schon ab.
Natale
müsse er mit seiner Mamma verbringen, das sei seit langem versprochen und Tradition.
    Im Gegenzug hatte er die Idee mit Silvester.
Capodanno à Vienna
– das war etwas, das damals unter seinen Landsleuten gerade populär wurde. Ein Kollege und seine
amica
hätten das im vorangegangenen Jahr erlebt. Und sie seien beeindruckt gewesen vom Rummel auf dem Stephansplatz und dem Klang der großen Glocke.
    Es sah ganz so aus, als würde ein gemeinsamer Silvesterabend in Wien zustande kommen. Julia freute sich. Sie freue sich, sagte sie, wie ein Schneekönig. Wie wer oder was?, fragte Marco.
Come un re di neve
. Am Telefon und in ihren Briefen rätselten und scherzten sie darüber, wie man sich einen Schneekönig vorzustellen habe.
    Wie einen Schneemann,
come un pupazzo di neve
? In Julias Fall wohl doch eher wie eine Schnee
frau
.
A proposito
:
C

è neve à Vienna?
Ja. Es schneit. Wien ist weiß und schön und wartet auf dich.
    Und doch wurde wieder nichts draus. Denn Marcos Mamma wurde krank. Gerade rechtzeitig, dass ihr Sohn seinen Flug noch stornieren konnte. Wahrscheinlich hatte sie sich während des Weihnachtsspazierganges, den sie am Vormittag des Christtags miteinander unternommen hatten, verkühlt. Oder sie hatte sich im Theater, in das sie Marco dann am Abend noch geführt hatte, die passenden Viren eingefangen.
    Zum Trost schrieb Marco einen sehr schönen Brief. Er begann mit einer Liebeserklärung. Dann folgten gute Vorsätze fürs neue Jahr. Er nehme sich ganz fest vor, nicht mehr so kleinmütig und unangebracht eifersüchtig zu sein wie letzthin, und außerdem wolle er anfangen, Deutsch zu lernen.
    Letzteres nicht nur, um Julia auch in ihrer Muttersprache sagen zu können, wie gut sie ihm gefalle und für wie klug und besonnen er sie halte. Womöglich schaffe er es ja dann auch, nach und nach ein paar deutschsprachige Autoren, die ihm viel bedeuteten, im Original zu lesen. Marx, Heine, Büchner und Bertolt Brecht zum Beispiel. Vielleicht auch einige von den jungen österreichischen Autoren, die ihm Julia empfohlen habe – leider könne er sich ihre Namen nur schwer merken.
    Übrigens habe er in den Tagen, die er nun seiner Mutter wegen in Turin verbracht habe, Goethes
Faust
zu lesen versucht. Auf Italienisch natürlich – gewiss habe er trotzdem nicht alles verstanden. Was ihn allerdings frappiert habe, war der Gedanke des erfüllten Augenblicks. Dass sich
Signore Fausto
vorerst gar nicht im Ernst vorstellen könne, einen Augenblick zu erleben, den er mit beiden Händen festhalten wolle, weil er so schön sei, könne er, Marco, allerdings nur so verstehen, dass der arme Mann bis dahin entweder ein bemitleidenswert tristes Leben geführt haben müsse oder an chronischer Fantasielosigkeit leide – vielleicht beides.
    Was ihn, Marco, betreffe, so habe er jedenfalls im vergangenen Jahr eine ganze Reihe solcher Augenblicke erlebt, und zwar mit ihr, Julia, in San Vito. Und solche Augenblicke wolle er wieder haben. Wenn es also so etwas wie einen Genius des vor uns liegenden Jahres gibt, schrieb er, dann ist das meine Bitte an ihn. Lass uns möglichst bald wieder dort, in San Vito, zusammenkommen.
26
    Damit war es ausgesprochen, das heißt geschrieben. Sie hatten ja eine Perspektive, und diese Perspektive hatte einen Namen. Und dieser Name war San Vito, ganz klar. San Vito war der Ort, wo ihre schöne Zweisamkeit auf exemplarische Weise gelungen war.
    Stimmt schon, gegen Schluss ihres Aufenthalts war zwischen ihnen auch dort nicht mehr nur strahlendes Schönwetter gewesen. Aber was waren diese paar Tage der Trübung im Vergleich zu den schönen langen, aber nie langweiligen Wochen davor. Sie würden einander dort wiederfinden, gar keine Frage. Die Frage war bloß, wann – aber das kam dann rascher, als sie gedacht hatten.
27
    Sie hatten ja beide zuerst an den Sommer gedacht. Ungefähr die gleiche Zeit wie im vorangegangenen Jahr. Bis dahin war es, vom Jänner aus gesehen, zwar noch lang. Aber darauf, fand Julia, könnten sie sich einstellen.
    Im Kalender konnten sie Tage abhaken, die bereits überstanden waren. Der Jänner, obwohl er lang war mit seinen einunddreißig Tagen, ging vorbei. Der Februar war deutlich kürzer, das machte ihn

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