Mortimer & Miss Molly
vorletzten Kriegsjahr mit dem Fallschirm hier im Renaissancegarten abgesprungen und von der Gouvernante einer hiesigen Adelsfamilie versteckt worden ist. Vielleicht brauchen sie nicht einmal das mitzubekommen, sondern nur unsere erste schöne Szene. Wie Mortimer vom Himmel fällt und wie Miss Molly aus dem Fenster schaut. Und ein paar Tage später ist die Idee zu unserem Projekt in Rom, in der Cinecittà.
Und dort sitzt irgend so ein berühmter Egomane, irgend so ein alter, etablierter Sack, der noch nicht weiß, was für einen Film er als Nächstes drehen soll. Und für ihn fällt diese
Idee
gewissermaßen vom Himmel. Und er denkt: Wie gut, dass mir das jetzt gerade eingefallen ist, auf mein Genie ist eben Verlass. Das muss ja nicht gleich Fellini sein, obwohl ihm das durchaus zuzutrauen wäre.
So etwas, sagte Marco, darf nicht passieren. Darum solle bitte auch Julia darauf achten, sich nicht zu verplappern. Dass er die Kamera dabeihatte, ließ sich zwar nicht verbergen, nicht nur Paolo, sondern auch Antonio und seine Freunde interessierten sich sehr für das gute Stück. Aber er bemühte sich, den Anschein zu erwecken, als hätte er als Amateur im besten Sinn des Wortes, als einer, der sich sein Hobby auch einiges kosten ließ, nichts anderes im Sinn, als den sympathischen Ort, die schöne Gegend und seine hübsche Freundin zu filmen – und besonders für Letzteres hatte man viel Verständnis.
17
Meist brachen sie schon sehr früh aus San Vito auf und kehrten erst sehr spät dorthin zurück. Manchmal verbrachten sie auch die Nacht dort draußen. Schlafsäcke hatten sie nicht, aber die hatten ja Mortimer und Molly auch nicht gehabt. Sie hatten immerhin zwei aus Fantinis Wäschekammer entwendete Decken. Außerdem nahmen sie einigen Proviant mit. Sie fuhren mit dem Auto bis an die Stelle, von der aus man das vom Blitz getroffene Haus schon sah. Von dort war der Weg mit den Körben zwar etwas mühselig. Aber sie hielten es für besser, nicht aufs Fischen und Fallenstellen angewiesen zu sein.
Erstens wäre Marco dabei wahrscheinlich nicht so erfolgreich gewesen wie Mortimer. Und zweitens hätte es Julia einige Überwindung gekostet, sich auf diese Weise zu ernähren. Mit dem Töten und Ausnehmen der Fische hätte sie sich vielleicht noch einigermaßen abgefunden. Aber sie war froh, dass sie nicht beim Abhäuten und Ausnehmen von wilden Kaninchen oder Eichhörnchen zusehen oder gar mithelfen musste. Sie bewunderte Molly, die es wahrscheinlich irgendwie geschafft hatte, sich über solche Empfindlichkeiten hinwegzusetzen. Aber die Situation damals, im Juni 1944, war eben doch eine andere gewesen. Außerdem würden die beiden damals nicht nur von Fisch und kargem Fleisch gelebt haben. Gewiss waren sie auch auf der Suche nach pflanzlicher Nahrung durch die Gegend gestreift.
So wie sie jetzt, Marco und Julia. Das war interessant und machte ihnen beiden Freude. Es gab schon Pilze. Zwar hatte es zu wenig geregnet, um wirklich viele aus dem Boden hervorzulocken. Aber ein paar gab es doch (Marco schwor, dass er die giftigen und die ungiftigen voneinander unterscheiden konnte). Und auf den Wiesen gab es wilden Fenchel und Sauerklee. Und auf den Hängen wuchsen hohe, violett blühende Disteln. Ihren Blütenboden freizulegen war zwar eine stachelige Angelegenheit. Aber herausgeschnitten und gesäubert, war er essbar (Marco behauptete sogar, er schmeckte beinah so gut wie der von Artischocken).
Trotzdem war es gut, dass sie einen Sack Kartoffeln aus der
Coop
-Filiale mitgenommen hatten. Die legten sie in die heiße Asche des Lagerfeuers. Und auch auf Salz hatten sie glücklicherweise nicht vergessen. Von Kartoffeln und Salz hatten Mortimer und Molly damals nur träumen können.
Erst recht vom Wein, den Marco und Julia mitbrachten und zwischen den großen Steinen am Ufer einkühlten. Im Juni 1944 wurde hier wohl Wasser aus dem Fluss getrunken. Klar. Was sonst. Es war klares und sauberes Wasser. Marco trank demonstrativ einen Schluck, aber dann wandte er sich lieber wieder dem Wein zu.
18
Trotz solcher Unterschiede gelang es ihnen immer wieder, sich in die Rollen von Molly und Mortimer zu versetzen. Natürlich am ehesten, wenn sie beisammenlagen. Ein Mann und eine Frau in größtmöglicher Nähe zueinander. Halt mich ganz fest, sagte die Frau. Lass mich nicht los. Zieh dich noch nicht zurück. Bleib in mir.
Hätte das Julia von sich aus gesagt? Eher nicht. Sie gehörte einer anderen Generation an als Molly. Ihre Generation
Weitere Kostenlose Bücher