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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heinisch
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Platz kurvte und dazu aufrief, an der Enthüllung des Partisanendenkmals gegenüber der Scuola Elementare teilzunehmen. Vorneweg liefen Kinder (die Fahnenträgerin war keine vierzehn), hinten saß ein alter Mann mit baumelnden Beinen und einem Akkordeon. Es war Sonntagvormittag, es nieselte ein wenig, die Fahne flatterte trotzdem, wenn auch in einem schon etwas ausgebleichten Rot. Und über dem Tor zum Park wuchs ein Regenbogen.
    Oder das Bild von der Hochzeit, an der Marco und Julia teilnehmen durften, weil der notorische Junggeselle Carlo doch noch eine Frau gefunden hatte. Vielleicht hatten sie auch seine
amici
für ihn gefunden, allen voran Antonio und Luigi, ja, das war sogar ziemlich wahrscheinlich. Jedenfalls saß sie nun neben ihm, eine resolute
donna
aus dem Süden, nach der Zeremonie in der Kirche feierte man in Carlos Gemüsegarten, auf den er sehr stolz war. Rundum alles grün in grün, und Regina, so hieß sie, die den Schleier abgelegt hatte, weil ihr sichtlich heiß war (glitzernde Schweißtropfen standen in ihrem Dekolleté), hatte sehr schwarze Haare und sehr rot geschminkte Lippen.
    Und das Bild von dem Begräbnis, auf das sie mitgegangen waren, der Sarg wurde durch die Via Dante getragen, vor dem
Caffè Italiano
war der Rollbalken heruntergelassen. Ein Zettel war daran angebracht,
Chiuso per caso di morte
, daneben die Parte mit dem Foto Pietros. Schwarze Anzüge, schwarze Kleider, schwarze Fahnen vor den Toren der Collegiata, wo der Leichenzug noch hielt, bevor es auf den Friedhof ging. Und sehr klein und schwarz Bruna, die links und rechts von Verwandten gestützt werden musste, und sehr klein und weiß und welk ihre Hand, als ihr kondoliert wurde; Marco und Julia kondolierten auch, obwohl sie ein bisschen gehemmt waren, nicht ganz richtig gekleidet für ein Begräbnis, aber sie waren Freunde.
    Es gab auch Erinnerungen, in denen nicht die Bilder dominierten, sondern die Klänge. Angefangen vom trauten Geräusch, das die Besen der Straßenkehrer frühmorgens auf der Piazza verursachten. Dieses leise, fast zärtliche Kratzen der Borsten auf dem Kopfsteinpflaster. Und die dezente Unterhaltung der Straßenkehrer, die anscheinend Rücksicht darauf nahmen, dass das halbe
paese
um diese Zeit noch schlief.
    Ganz anders die Abende, an denen die ganze Piazza summte, wie ein Bienenstock. So viel ist allerdings wahr, dass die Musik, die aus der Musicbox der
Bar Centrale
herauf klang, manchmal störte. Besonders die Nummern mit wummernden Bässen. Und die Mopeds, die vor der Bar hielten und deren Motoren natürlich nicht abgeschaltet wurden, konnten richtig nerven.
    Was besonders im Ohr blieb, war natürlich die Erinnerung an die Glocken. Die Entfernung vom Campanile der Kirche Santa Maria bis zum Fenster des Zimmers Nummer 11 im Albergo betrug ja kaum mehr als sechzig Meter. Überdies waren das besonders emsige Glocken, die zu jeder vollen Stunde nicht bloß einmal läuteten, sondern zwei Mal. Zuerst fünf Minuten
davor
und dann fünf Minuten
danach
– daran musste man sich erst gewöhnen.
    Aber sie gewöhnten sich daran, Marco und Julia, ja mit der Zeit war ihnen dieses Gebimmel geradezu lieb. Als es einmal einen Tag und eine Nacht ausblieb, weil dort drüben im Turm etwas repariert werden musste, ging es ihnen direkt ab. Von einem gewissen Zeitpunkt an, zu dem sich auch die Pfarre San Vito dem Fortschritt nicht mehr verweigern wollte, läuteten die Glocken allerdings nicht mehr selbst, sondern man hörte ihren Klang vom Tonband. Auch läuteten sie dann zur vollen Stunde nur mehr einmal. Aber das kam erst. Und die Basiserinnerungen, die sich den beiden am tiefsten einprägten, waren eben die aus den ersten Jahren.
    Es ist schon wahr, dass sie das wirkliche Leben in San Vito damals noch eher als Zuschauer erlebten, in der Via Dante im Spalier stehend oder aus dem Fenster ihres Zimmers auf die Piazza hinunter schauend. Aber bis zu einem gewissen Grad nahmen sie doch schon daran teil. Manchmal politisierte Marco mit Antonio und seinen Freunden, als ob er dazugehörte, obwohl sie ab und zu über seinen piemontesischen Akzent spöttelten. Und dass Julia sich nicht zu den Frauen gesellte, die sie bei solchen Gelegenheiten von den Männern weg zu lotsen versuchten – komm, reden wir über was anderes, sagte Luigis Frau Lisa, die Männer streiten doch nur und es kommt ohnehin nichts dabei heraus –, dass Julia trotz der Sprachschwierigkeiten, die sie anfangs noch hatte, lieber in dieser Männerrunde mitredete,

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