Mortimer & Miss Molly
ein Gläschen Brunello gewiss noch gehoben hätte, wären sie vielleicht noch einmal, und diesmal vergleichsweise locker, auf Marcos Amerika-Projekt zu sprechen gekommen.
Manchmal malte sie sich das so aus, als ob es wirklich gewesen wäre. Wie Marco und sie oben in der Weinbar der Fortezza oder vielleicht doch besser unten im
Caffè Dante
mit seiner edlen Patina saßen. Wie der Brunello, rubin- oder granatrot schimmernd, in eleganten Schwenkern serviert wurde. Und wie sie einander zulächelten und zuprosteten.
Wie sie somit genau dort wieder anknüpfen konnten, wo der liebevolle Kontakt zwischen ihnen abgerissen war. (Oder nicht ganz abgerissen, Gott sei Dank, aber – zugegeben – ein wenig gestört.) Wie sie mit den schönen Gläsern anstießen, das gab (zum Unterschied von der irritierenden Disharmonie dort oben auf dem Hügel) einen harmonischen Wohlklang. Auf uns! Auf unsere nachhaltige Liebe! Und darauf, dass wir sie nicht mehr durch kleine Missverständnisse aufs Spiel setzen!
Was nämlich Julias Kränkung durch die unvorbereitete Konfrontation mit Marcos Amerika-Projekt betraf ... Vielleicht verhielt es sich damit ja so ähnlich wie mit Marcos Knöchelverletzung ... Vielleicht war das, was sie als verletzend empfunden, was ihr wehgetan hatte, halb so schlimm ... Vielleicht war er, was diese seine Pläne anlangte, gar nicht so gedankenlos, so rücksichtslos, so überraschend lieblos gewesen, wie sie im ersten Moment geglaubt hatte.
Vielleicht hätten sie sich ja darauf einigen können, dass San Francisco eine
gemeinsame
Perspektive war ... Darauf, dass er diese Möglichkeit selbstverständlich von Anfang an mitgedacht habe ... (Eine gutartige Lüge, die sie ihm zu seiner Entlastung nahegelegt hätte.) Und vielleicht hätte es ja auch für sie als Psychologie-Dissertantin ein Stipendium oder so etwas Ähnliches in San Francisco gegeben.
Ja, das wäre ihre Chance gewesen. Die Seitentür (die hintere Seitentür eines Fiat 500 genau genommen, denn wie ehemals in Mortimers Auto saßen Marco und Julia auch in Doktor Tozzis Auto nebeneinander auf dem Rücksitz), durch die sie dem, was dann später wie ein etwas zynisches Schicksal aussah, noch hätten entschlüpfen können. Und damit wäre alles anders gekommen. Leider nahmen sie diese Chance nicht wahr.
Frage: Warum ließ sich Marco dann doch noch von seiner Brunello-Idee abbringen?
Antwort: Erstens (das war zumindest das vorgeschützte Motiv) aus Höflichkeit.
Nein, das geht nicht, flüsterte er Julia ins Ohr. Der Doktor ist so nett und hat sich so sehr um mich bemüht – ihn allein zurückfahren zu lassen, wäre ein grober Fauxpas.
Zweitens aber (und diesen Verdacht hatte Julia, je öfter sie später an diesen Tag zurückdachte, umso mehr), weil er, kaum saßen sie erneut in Tozzis Auto, schon wieder um seinen Knöchel besorgt war. Hätte sie der freundliche
dottore
vor der Fortezza oder in der Nähe der Piazza abgesetzt, so hätten sie später, nach dem Brunello, zu Fuß zur Busstation gehen müssen. Desgleichen, zurückgekehrt nach San Vito, von der dortigen Busstation in die Via Poliziano, zum Haus des Doktors, um den Volvo aus der Garage zu holen. Das waren zwar insgesamt kaum mehr als zweihundert Meter, aber so viel Strapaz wollte er seinem Knöchel wohl nicht antun.
Und kleine Ursachen haben manchmal große Wirkungen. Julia hatte solche in geflügelte Merksätze gestanzte Weisheiten nie leiden können. Aber das Folgende war ein Exempel dafür. Die ganze Kettenreaktion, die sich daraus ergab, dass sie, obwohl ihnen diese Gelegenheit geboten wurde, nicht noch aus Doktor Tozzis Auto ausstiegen, sondern mit ihm nach San Vito zurückführen.
8
Und dabei ließ sich alles ganz harmlos an. Darf ich ein bisschen neugierig sein?, sagte Doktor Tozzi, der, durch die zuvorkommende Behandlung des Patienten, den er persönlich zur Röntgenaufnahme ins Krankenhaus begleitet hatte, bestätigt (immerhin wusste man dort oben noch, wer er war), die Kurven zwischen den Weinbergen unterhalb von Montalcino nun geradezu beschwingt nahm. Er wollte wissen, wieso Marco und Julia überhaupt in San Vito gelandet seien. Und woran es liege, dass sie immer wieder dahin zurückkämen.
Denn sie seien ihm – Verzeihung, sagte er, aber das ist eben so in einem kleinen Ort wie dem unseren – natürlich schon früher aufgefallen. Ich bin Ihnen wahrscheinlich kaum aufgefallen, aber ich bin ein uninteressanter alter Mann. Nein, nein, machen Sie mir keine falschen Komplimente, wenn
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