Mortimer & Miss Molly
man alt wird, wird man nicht sehenswerter. Sie hingegen sind ein Paar, sagte er, das man bemerkt.
E così
. Was für ein interessantes Paar, habe ich gedacht, wenn ich Sie gesehen habe. In der Via Dante oder auf der Piazza oder im
giardino
, in dem ich ja auch ganz gern promeniere. Der Signore, so wie er aussieht, wahrscheinlich ein Künstler (Sie haben ja damals – erinnere ich mich recht? – noch eine etwas kühnere Haartracht gehabt). Und die Signora (oder die Signorina?) seine Muse.
Ich habe ja damals noch nicht gewusst, sagte er zu Marco, was ich erst heute erfahren habe: dass sie ein Kollege sind. Wie dem auch sei. Auf jeden Fall habe ich Sie ein bisschen beneidet. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin seit vierzig Jahren glücklich verheiratet. Aber so ein, wenn man etwas genauer hinsieht, doch schon etwas reifer wirkender Mann mit so einer blühenden jungen Person,
quasi una fanciulla
...
Accidenti
, habe ich gedacht, die Götter meinen es gut mit ihm.
So ungefähr plauderte Doktor Tozzi. Launig. Und das war, muss man zugeben, eine Verführung. Eine Verführung, ebenfalls launig zu plaudern. Und das taten sie. Nicht ahnend, was dabei herauskommen würde.
Dass sie rein zufällig hier gelandet seien, sagten sie, vor nunmehr doch schon einigen Jahren. Aus Siena kommend, wo sie sich erst eine Woche davor kennengelernt hatten. Und dass sie es hier so nett und sympathisch fanden und dass in diesem anregenden Ambiente alles so selbstverständlich schön war, was ihnen miteinander Freude machte. Weswegen sie sich nicht nur noch mehr ineinander verliebt hatten als schon in Siena, sondern auch in den Ort.
Allerdings, sagte Julia, sei noch etwas hinzugekommen. Sollen wir es dem
dottore
erzählen?, fragte sie rhetorisch. Marco schien dessen gar nicht sicher zu sein. Aber sie hielt die Gelegenheit für günstig, auch und gerade ihn daran zu erinnern.
Il mio ragazzo Marco
, sagte sie in ihrem fortgeschrittenen Italienisch, hat nämlich nicht nur als Arzt Ambitionen, sondern – insofern liegen Sie, wenn Sie ihn für einen Künstler gehalten haben, nicht ganz falsch – auch als Filmemacher. Und da hat sich hier, wieder durch Zufall, eine sehr interessante Inspiration ergeben. Nämlich durch die Begegnung mit einem alten Amerikaner ... Und schon erzählte sie, wie ihnen Mortimer, der im Albergo im selben Stockwerk gewohnt habe wie sie, vorerst gar nicht, aber dann doch aufgefallen sei, nämlich am Fenster stehend und in den Park blickend, und wie er eines Tages an ihre Tür geklopft und sie zu einem Abendessen in eine Osteria eingeladen habe.
Und dass er dort von seiner Beziehung zu Miss Molly zu reden begonnen habe, erzählte sie. Und dass sie von dieser Geschichte fasziniert waren. Einer doch wirklich ungewöhnlichen und romantischen Liebesgeschichte.
Aber als sie das Wort
Liebesgeschichte
ausgesprochen hatte, begann Doktor Tozzi ganz unpassend zu lachen.
Entschuldigung, sagte er. Aber ich habe die zwei gekannt. Miss Molly und ihren Mortimer, ja natürlich! Das war nach dem Krieg. Da haben die Bianchis Miss Molly das Haus in der Mauer praktisch überlassen. Wohnrecht auf Lebenszeit. Und da hat Miss Molly manchmal auch Gäste einquartiert.
Dieser Mortimer war von einem gewissen Zeitpunkt an ein ständig wiederkehrender Gast ... Lassen Sie mich nachdenken ... Also, ich glaube, das hat Mitte der Fünfzigerjahre begonnen ... Anscheinend war er ein alter Bekannter von ihr ... Aber eine Liebesgeschichte? ... Nein, das kann ich mir nicht vorstellen!
Er war doch um so viele Jahre jünger als sie ... Vielleicht ein Neffe. Sie hat ihn ziemlich bemuttert ... Bemuttert und – ja, das kann man wohl sagen – bevormundet ... Mortimer dies und Mortimer das! Er konnte es ihr kaum recht machen.
Er sollte nicht rauchen oder maximal drei Zigaretten am Tag. Da hat sie ja Recht gehabt. Aber sie hat ihn mit Argusaugen beobachtet. Eigentlich sollte er draußen rauchen, denn sie hat den Rauch im Raum nicht vertragen. Aber wenn er auf die Mauerkrone hinausgetreten ist, um sich eine Zigarette anzuzünden, hat sie ihn gleich zurückgerufen.
Es hätten ja zwei Zigaretten sein können, die er da draußen rauchte. Mortimer!, hat sie gerufen. Wo bleibst du so lang? Ich glaube, da hat er manchmal noch nicht einmal die erste Zigarette ausgeraucht gehabt. Manchmal hat er mir, ehrlich gestanden, ein bisschen leidgetan.
So Doktor Tozzi. Er sei ja öfter auf Hausbesuch bei den beiden gewesen. Miss Molly habe schon in ihrer
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