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Mortlock

Mortlock

Titel: Mortlock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Mayhew
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ihre Garderobe auf. Wenn sie nur ihre Wurfmesser holen konnte, dann würde sie sich schon ein wenig sicherer fühlen.
    Von der Bühne drang gedämpfter Applaus herüber, während Josie den Raum nach einem Ort absuchte, wo sie sich im Notfall verstecken konnte. Die Garderobe war ordentlich aufgeräumt, wie Cardamom sie verlassen hatte. Auf der Frisierkommode waren verschiedene Kämme und Bürsten aufgereiht, und daneben die Tiegel mit Bühnenschminke. Hinter Josie, neben Cardamoms Schrank, waren drei oder vier Verschwindekabinette aufeinandergestapelt. Ihr gegenüber schimmerte das Gaslicht der Straßenlaterne durch das große Fenster. Es war von innen mit Papier beklebt, damit man nicht hineinschauen konnte.
    Draußen im Flur erklang ein dumpfes Geräusch. Josie riss die Tür von einem der Verschwindekabinette auf und tastetenach dem Hebel. Die Rückwand öffnete sich, sie schlüpfte in die verborgene Kammer und zog die Rückwand wieder zu. Absolute Finsternis umgab sie und nahm ihr die Luft zum Atmen. Sie hatte es nie über sich gebracht, Cardamom bei seinen Verschwindetricks zu helfen, weil sie in den engen Kisten Platzangst bekam. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
    Josie hielt den Atem an, als die Tür der Garderobe mit leisem Quietschen geöffnet wurde. Sie schloss die Augen und lauschte. Die Krallen des Ghuls klickten, als er die Kämme und Bürsten auf der Kommode hochnahm. Knarzend schwang die Schranktür auf, und Josie biss sich auf die Lippen, als sie hörte, wie Kleider raschelten und Bügel klapperten. Sie schmeckte Blut in ihrem Mund. Wieder drang gedämpfter Beifall von der Bühne herüber. Die Artisten verbeugten sich zum letzten Mal.
    Ein ungeduldiges Krächzen übertönte das Klatschen, und Kartons wurden durch den Raum geworfen. Die Zeit drängte. Jeden Moment würden die Artisten herunterkommen. Josie spannte jeden Muskel in ihrem Körper an.
    Mit einem Ruck wurde die Tür des Verschwindekabinetts aufgerissen. Josie öffnete die Augen. Um die Rückwand, die sie verbarg, zeichnete sich ein Lichtrand ab. Dann herrschte lastende Stille. Vor ihrem inneren Auge sah Josie den Ghul vor sich, wie er wenige Zentimeter vor ihr stand, den schwarz gefiederten Kopf zur Seite gelegt, und mit seinen funkelnden Augen das leere Verschwindekabinett musterte.
    Eine Kralle scharrte prüfend über die Rückwand, hinter der Josie kauerte. Sie konnte förmlich hören, wie die Rädchen im Gehirn des Ghuls ratterten, während er versuchte, das Geheimnis um Josies Verschwinden zu ergründen. Siemachte sich auf das Schlimmste gefasst. Wieder dieses Scharren. Dann hörte Josie, wie die Tür der Garderobe aufflog.
    »He, was machen Sie da? Großer Gott … Nein! NEIN!«, schrie eine vertraute Stimme. Sie gehörte Ernie Cumbers, dem Wachmann des Theaters. Er war offensichtlich gekommen, um nachzusehen, was es mit den Geräuschen in der Garderobe auf sich hatte.
    Plötzlich kippte das Verschwindekabinett mit einem lauten Krachen um, die falsche Rückwand brach heraus, und Josie war den Blicken preisgegeben. Sie sah, wie Ernie auf den flatternden Ghul einschlug. Er hatte einen tiefen Riss in der Kopfhaut, und Blut strömte ihm über das Gesicht. Mit seinen fliegenden Fäusten hätte er in einer Straßenkeilerei jeden Gegner ausgeschaltet, aber der Ghul wich den Schlägen immer wieder geschickt aus. Keuchend wischte Ernie sich das Blut aus den Augen. Prompt nutzte der Riesenvogel die Gelegenheit, stieß mit gesenktem Kopf vorwärts und schlitzte Ernie mit seinem langen säbelartigen Schnabel auf. Dem kräftigen Mann quollen fast die Augen aus dem Kopf, und er wimmerte, als der Ghul ihm mit einem widerwärtigen Schmatzen die Eingeweide herausriss. Einen kurzen Moment herrschte Stille, während der Vogel seine blutige Beute hinunterschlang. Dann stieß Ernie einen markerschütternden Schrei aus, und der Ghul stürzte sich erneut auf ihn, grub die Klauen in sein Fleisch und riss mit dem Schabel ganze Stücke heraus. Blut spritzte auf die Wände und Spiegel und auf Josies Gesicht. Etwas Nasses klatschte gegen das Verschwindekabinett und glitt daran herunter. Der Ghul drehte sich um, das Gefieder blutgetränkt, und richtete seinen funkelnden Blick auf Josie.
    Draußen auf dem Flur kamen Leute herbeigerannt. Verzweifeltschrie Josie um Hilfe und versuchte, sich aus dem Verschwindekabinett zu befreien. Die aufgeregten Stimmen wurden lauter. Die Kreatur blickte zwischen Josie und der offenen Tür hin und her, unentschlossen, was sie tun

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