Mortlock
krabbelnd zurück.
»Was soll ich tun?«, fragte er mit bebender Stimme.
»Hören Sie auf damit«, fauchte Josie Corvis an. Sie sah hinunter auf das Messer, das noch auf dem Tisch lag, und schätzte instinktiv das Gewicht der scharfen Klinge und des massiven Elfenbeingriffs ab.
Corvis bemerkte ihren Blick. »Du kannst ihn retten. Zeig mir, was du kannst.« Mit seinem dämonischen Grinsen sah er selbst fast wie ein Ghul aus. »Oder du opferst Alfie und tötest mich …«
»Josie …« Alfie war an der Rückwand des Kellers angekommen. Der Ghul hüpfte näher, angefeuert vom kreischenden Gelächter der Tanten.
Mit einem Satz sprang Josie vor und schnappte sich das Messer. Es lag schwer und kühl in ihrer Hand, als sie damit auf das Ungeheuer zielte.
Zögernd bewegte sich der Ghul noch ein paar Schritte auf Alfie zu, dann senkte er den Kopf, als mache er sich zum Angriff bereit. Josie sah, wie die Sehnen in seinen Beinen sich strafften und das glänzende Gefieder sich sträubte. Alfie, der unter dem geduckten Körper des Ghuls kaum noch zu sehen war, warf ihr einen verzweifelten Blick zu. Der Vogel drehte Josie den Rücken zu, was den Wurf schwierig machte, aber ihr blieb keine Zeit mehr zum Atmen und Abwiegen.
»Josie, er will mich –«, quiekte Alfie. Der Rest ging in einem heiseren Krächzen unter, als der Ghul mit einem Satz auf ihn losging.
Mit einer schnellen Bewegung aus dem Handgelenk warf Josie das Messer. Es wirbelte blitzend durch die Luft – und flog zu Alfies Entsetzen am Kopf des Ghuls vorbei. Doch dann prallte es mit einem lauten
Ping
von der Kellerwand ab und traf den Ghul genau zwischen die Augen. Blut spritzte auf, als der Ghul rücklings zu Boden stürzte. Er wand sich noch einen Moment flügelschlagend, dann blieb er zuckend liegen.
Nur das leise Schwingen des Messers, das im Schädel des Ghuls steckte, und Alfies keuchender Atem durchbrachendie Stille. Alfie starrte wie hypnotisiert auf den blutigen Federhaufen. Die drei Tanten drängten sich aneinander und beäugten Josie fassungslos. Dann hallte Corvis’ langsames Klatschen durch den Kellerraum.
»Bravo«, sagte er. »Ich hatte schon gehört, dass du eine geschickte Werferin bist, aber das war wirklich beeindruckend … nahezu unglaublich.«
»Ich wünschte, ich hätte noch ein zweites Messer«, fauchte Josie und starrte Corvis finster an. Sie kochte vor Zorn. Was er getan hatte, war böse. Er hätte Alfie vollkommen ungerührt sterben lassen, nur um sie auf die Probe zu stellen.
»Dein Talent macht mich neugierig, genauso wie eure wundersame Heilungsfähigkeit.« Corvis nahm das blutige Taschentuch ab und hielt seine makellose Hand hoch. Von dem Schnitt war nichts mehr zu sehen. »In euren Adern fließt die Kraft der Amarant, Kinder. Ihr seid ihr nahe gewesen. Und jetzt sagt mir, wo sie ist.«
»Warum sollte ich?« Josie ging um den noch immer zuckenden Ghul herum und half Alfie auf die Beine.
Corvis blickte in die Ferne, als erinnere er sich an einen Traum. »Sie gehört mir … Man hat sie mir weggenommen … Und wenn ihr mir nicht helft …« Sein Gesicht verdüsterte sich. Wieder meinte Josie, eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihm und den Tanten zu erkennen. »Dann werde ich euch der Obhut meiner Damen überlassen.«
Hüpfend und kichernd kamen die Tanten näher. Corvis stellte sich neben sie und fuhr sich durchs Haar. Fragend blickte er auf seine Hand, in der etwas Flaumiges lag. Josie durchfuhr ein eisiger Schreck.
Federn?
Hastig schüttelte er die Hand, und Tante Mag schnappte die schwebenden Daunen aus der Luft.
»Gebt mir die Amarant, und ich halte sie euch für immer vom Leib«, sagte er.
Josie dachte an Cardamom, der dahingesiecht war, an Gimlet, blutüberströmt auf der Straße, und an Ernie im Erato. Mit Sorge musterte sie Alfie, der noch immer totenbleich war.
»Mr Scrabsnitch hat gesagt, in den Händen der Menschen kann die Amarant nur Böses tun«, sagte Josie, bemüht, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Was haben Sie denn damit vor?«
»Was ich damit vorhabe?« Corvis stieß ein ungläubiges Lachen aus, als könne er es nicht fassen, dass ein Kind ihn verhörte. »Ich will Ordnung in die Welt bringen.«
»Sie würden bloß Menschen töten, so wie Ihre ›Damen‹«, sagte Alfie, der erschöpft an der Kellerwand lehnte, noch immer mitgenommen von seiner Begegnung mit dem Ghul.
»Aber was ist denn schon der Tod, mein Junge?« Corvis schüttelte den Kopf. »Mit der Amarant können wir doch alles
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