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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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mir glauben?«
    Meredith
war ein Schauer über den Rücken gelaufen, genau wie jetzt, und irgendetwas
hatte in ihrem Kinderkörper mit unerklärlicher Dringlichkeit zu pochen
begonnen, und sie hatte plötzlich eine tiefe Sehnsucht empfunden, ohne zu
wissen, wonach.
    »Mach die
Augen zu und horch«, hatte Juniper geflüstert und einen Finger an die Lippen
gelegt. »Dann kannst du hören, wie die Spinnen ihre Netze weben.«
    Meredith
schloss die Augen. Lauschte auf den Chor der Grillen, das gelegentliche
Plätschern einer Forelle, das Brummen eines Traktors in der Ferne ... Und da
war noch ein anderes Geräusch. Eins, das überhaupt nicht hierherpasste. Es war
ein Motor, erkannte sie, ganz in der Nähe. Und er kam immer näher.
    Sie
öffnete die Augen und sah es. Ein schwarzes Auto, das die Zufahrt hinunterfuhr.
Meredith konnte nur staunen. Es kamen nur selten Besucher, und Autos noch
seltener. Kaum jemand hatte Benzin übrig, um irgendjemandem mit dem Auto einen
Besuch abzustatten, und diejenigen, die noch welches hatten, so schien es
Meredith, sparten es auf, um nach Norden fliehen zu können, wenn die Deutschen
das Land überfielen. Selbst der Priester, der den alten Mann im Turm regelmäßig
aufsuchte, kam neuerdings zu Fuß. Bei diesem Besucher hier musste es sich um
eine wichtige Persönlichkeit handeln, jemanden, der wegen irgendeiner
Kriegsangelegenheit gekommen war.
    Als das
Auto an ihr vorbeifuhr, legte der Fahrer, ein Mann, den Meredith nicht kannte,
eine Hand zum Gruß an seinen schwarzen Hut und nickte Meredith streng zu. Sie
schaute ihm mit zusammengekniffenen Augen nach. Das Auto verschwand hinter
einem Wäldchen und tauchte kurz darauf am Ende der Zufahrt wieder auf, ein
schwarzer Fleck, der in die Tenterden Road einbog.
    Meredith
gähnte, und im nächsten Augenblick hatte sie das Auto samt Fahrer wieder
vergessen. In der Nähe eines Brückenpfostens wuchsen wilde Veilchen, und sie
konnte nicht widerstehen, ein paar davon zu pflücken. Als sie ein hübsches,
dickes Sträußchen beisammenhatte, kletterte sie auf die Brücke, setzte sich auf
das Geländer und vertrieb sich die Zeit mit Tagträumen. Zwischendurch warf sie
die Veilchen eins nach dem anderen in den Bach und schaute zu, wie sie in der
sanften Strömung Purzelbäume schlugen.
    »Guten
Morgen.«
    Sie
blickte auf und sah Percy Blythe auf sich zukommen, die ihr Fahrrad neben sich
her schob, einen hässlichen Hut auf dem Kopf und eine Zigarette in der Hand.
Die strenge Schwester, wie Meredith sie insgeheim nannte. Diesmal lag noch
etwas anderes in ihrem Gesichtsausdruck, sie kam ihr traurig vor. Aber vielleicht
war es nur der Hut. Meredith sagte: »Hallo«, und klammerte sich an das
Geländer, um nicht herunterzufallen.
    »Oder ist
es schon nach Mittag?« Percy blieb stehen, schüttelte ihr Handgelenk und warf
einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Kurz nach halb. Du vergisst doch nicht,
rechtzeitig zum Tee zu kommen, oder?« Sie zog lange und tief an ihrer
Zigarette. »Deine Eltern wären bestimmt ziemlich enttäuscht, wenn sie dich
nicht antreffen würden, nachdem sie so weit gefahren sind.«
    Meredith
vermutete, dass es ein Scherz sein sollte, aber sie konnte nichts Humorvolles
an Percy entdecken, deswegen war sie sich nicht sicher. Für alle Fälle lächelte
sie höflich. Schlimmstenfalls, sagte sie sich, würde Percy denken, sie hätte
die Bemerkung überhört.
    Aber Percy
schien gar nicht auf sie zu achten. »Also dann«, sagte sie, »ich habe zu tun.«
Sie nickte zum Abschied, dann setzte sie ihren Weg in Richtung Schloss fort.
     
    4
     
    Als
Meredith ihre Eltern endlich entdeckte und sie die Einfahrt heraufkommen sah,
wurde ihr ganz flau. Einen kurzen Augenblick lang war ihr, als sehe sie in der
wirklichen Welt zwei Menschen aus einem Traum, sie waren ihr vertraut und gehörten
doch nicht hierher. Dann war das Gefühl verflogen, und sie sah, dass es ihre
Mum und ihr Dad waren, die endlich angekommen waren. Und sie hatte ihnen so
viel zu erzählen. Sie rannte auf sie zu, die Arme weit ausgebreitet, und ihr
Dad kniete sich hin, damit sie sich in seine starken Arme werfen konnte. Ihre
Mum drückte ihr einen Kuss auf die Wange, was ungewohnt war, aber doch schön.
Zwar wusste sie, dass sie eigentlich schon zu alt dafür war, aber da weder Rita
noch Ed da waren und sie damit aufziehen konnten, ging sie den ganzen Weg an
der Hand ihres Dads und erzählte pausenlos vom Schloss und der Bibliothek und
den Wiesen und dem Bach und dem

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