Morton, Kate
Wald.
Percy
erwartete sie bereits am Tisch, eine Zigarette in der Hand, die sie ausdrückte,
als sie sich näherten. Sie glättete ihren Rock, streckte eine Hand aus und
begrüßte die Besucher, wie es sich gehörte. »Und wie war die Zugfahrt?
Hoffentlich nicht zu anstrengend?« Es war ganz normal, das zu fragen, sogar
höflich, aber Meredith hörte Percys hochnäsigen Ton mit den Ohren ihrer Eltern
und wünschte, die sanfte Saffy wäre an ihrer Stelle da, um sie zu begrüßen.
Prompt
klang die Stimme ihrer Mum dünn und argwöhnisch, als sie antwortete: »Sie war
lang. Wir mussten immer wieder anhalten, um die Züge mit den Truppen
vorbeizulassen. Wir haben die meiste Zeit auf irgendwelchen Nebengeleisen
gestanden.«
»Na ja«,
sagte ihr Dad. »Unsere Jungs müssen ja irgendwie an die Front kommen. Diesem
Hitler zeigen, dass England nicht mit sich spaßen lässt.«
»Ganz
recht, Mr. Baker. Aber nehmen Sie doch Platz«, sagte Percy und zeigte auf den
Tisch. »Sie müssen ja umkommen vor Hunger.«
Percy
schenkte Tee ein und verteilte Saffys Kuchen, und sie unterhielten sich ein
bisschen steif über die überfüllten Züge und über den Krieg (Dänemark hatte
kapituliert, folgte als Nächstes Norwegen?) und die Aussichten, ihn zu
gewinnen. Meredith knabberte an ihrem Kuchen und schaute zu. Sie war davon
überzeugt gewesen, dass ihre Eltern sich nach einem Blick auf das Schloss und
auf Percy Blythe mit ihrem vornehmen Akzent und der Haltung, als hätte sie
einen Stock verschluckt, abweisend verhalten würden, aber bisher lief alles
ziemlich glatt.
Merediths
Mum war allerdings ziemlich still. Sie hielt irgendwie ängstlich die
Handtasche auf ihrem Schoß umklammert, was Meredith wunderte, denn sie konnte
sich nicht erinnern, ihre Mutter schon einmal ängstlich erlebt zu haben. Sie
fürchtete sich weder vor Ratten noch vor Spinnen, nicht einmal vor Mr. Lane
von gegenüber, wenn der mal wieder zu lange im Pub gewesen war. Ihr Dad wirkte
etwas entspannter, er nickte interessiert, als Percy vom Angriff der
Spitfire-Jagdflugzeuge berichtete und von den Hilfspaketen für die Soldaten in
Frankreich, und er nippte seinen Tee aus einer handbemalten Porzellantasse, als
würde er das jeden Tag machen. Na ja, fast. In seinen Pranken sah das Porzellan
eher wie ein Puppenservice aus, und Meredith dachte, dass ihr noch nie
aufgefallen war, wie groß seine Hände waren. Plötzlich spürte sie, wie lieb sie
ihn hatte, und sie legte ihm vorsichtig eine Hand auf die Hand, die neben
seiner Untertasse lag. In ihrer Familie war es nicht üblich, körperliche
Zuneigung zu zeigen, und er sah sie überrascht an. Dann drückte er kurz ihre
Hand.
»Wie
läuft's denn mit der Schule, meine Kleine?« Er knuffte Meredith mit der
Schulter und zwinkerte Percy zu. »Unsere Rita ist ja vielleicht die Hübschere,
aber unsere kleine Merry ist die Klügere.«
Meredith
lächelte stolz. »Ich lerne jetzt hier, Dad, hier im Schloss. Saffy unterrichtet
mich. Du müsstest mal die Bibliothek sehen, da stehen noch mehr Bücher als in
der mobilen Bücherei. An allen Wänden Bücherregale bis zur Decke. Und ich
lerne jetzt sogar Latein.« Latein machte ihr am meisten Spaß. Klänge aus der
Vergangenheit, voll von tiefer Bedeutung. Uralte Stimmen im Wind. Meredith
schob ihre Brille hoch, sie verrutschte oft, wenn sie aufgeregt war. »Und ich
lerne Klavier.«
»Meine
Schwester Seraphina ist hocherfreut über die Fortschritte Ihrer Tochter«,
sagte Percy. »Sie macht sich ausgezeichnet, wenn man bedenkt, dass sie vorher
noch nie ein Klavier gesehen hat.«
»Wirklich?«
Ihr Dad bewegte die Hände, als wüsste er nicht, wohin damit. »Meine Kleine kann
Musik machen?« Meredith strahlte. »Ein bisschen.«
Percy
schenkte Tee nach. »Vielleicht möchtest du nachher mit deinen Eltern ins
Musikzimmer gehen und ihnen etwas vorspielen?«
»Hast du
das gehört, Mum? Unsere Meredith kann schon etwas vorspielen.«
»Ich hab's
gehört.« Etwas im Gesicht ihrer Mum schien sich zu verhärten. Es war derselbe
Ausdruck, den sie bekam, wenn ihre Eltern sich über irgendetwas stritten und
ihr Dad einen kleinen, aber fatalen Fehler beging, der ihr sagte, dass sie den
Sieg davontragen würde. Mit gepresster Stimme sagte sie zu Meredith, als wäre
Percy nicht anwesend: »Du hast uns Weihnachten gefehlt.«
»Ihr habt
mir auch gefehlt, Mum. Ich wollte euch wirklich besuchen, aber es fuhren
einfach keine Züge. Die wurden alle für die Soldaten gebraucht.«
»Rita
fährt heute
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