Morton, Kate
»Percy ist ein bisschen steif, aber Saffy ist sehr, sehr nett. Ihr
könnt sie kennenlernen, wenn ihr mit reinkommt. Dann kann ich euch auch etwas
auf dem Klavier vorspielen.«
Er sah zum
Turm hoch, und die Sonne schien ihm ins Gesicht. Meredith sah, wie seine
Pupillen sich zusammenzogen. Sie wartete, versuchte, in seinem breiten,
ausdruckslosen Gesicht zu lesen. Seine Lippen bewegten sich, als würde er Zahlenreihen
zusammenrechnen, aber zu welchem Ergebnis er damit kommen wollte, begriff
Meredith nicht. Dann wieder ein Blick in Richtung Mum, die schmollend am
Brunnen stand. Jetzt oder nie, dachte Meredith. »Bitte, Dad«, sie griff nach
seinem Arm, »bitte lasst mich hier. Ich lerne hier so viel, viel mehr, als ich
in London lernen könnte. Bitte mach, dass Mum einsieht, dass es mir hier
besser geht.«
Er seufzte
noch einmal, während er weiterhin stirnrunzelnd den Rücken seiner Frau
betrachtete. Dann änderte sich etwas in seinem Gesichtsausdruck, etwas
Liebevolles zeigte sich in seinen Zügen, und Merediths Herz begann zu pochen.
Aber er schaute sie nicht an und sagte auch nichts. Schließlich folgte sie
seinem Blick und sah, dass ihre Mum sich umgedreht hatte, eine Hand in die
Hüfte gestemmt, während die andere sich nervös bewegte. Die Sonne beschien sie
von hinten und verlieh ihrem braunen Haar hier und da einen rötlichen Schimmer.
Sie sah hübsch aus, so verloren und jung. Sie schaute Dad an, und da wurde
Meredith klar, dass sein zärtlicher Blick nicht ihr, sondern ihrer Mum galt.
»Tut mir
leid, Merry«, sagte er und legte eine Hand auf ihre, die immer noch seinen Arm
hielt. »Es ist besser so. Geh deine Sachen holen. Wir fahren nach Hause.«
Und da tat
Meredith etwas ganz Ungehöriges, da beging sie den Verrat, den ihre Mutter ihr
niemals verzeihen würde. Ihre einzige Entschuldigung war, dass ihr keine andere
Wahl blieb, dass sie nur ein Kind war und dass es einfach niemanden zu interessieren
schien, was sie wollte. Sie war es leid, wie ein Paket oder ein Koffer
behandelt zu werden, der von hier nach dort verfrachtet wurde, je nachdem, was
die Erwachsenen gerade für das Beste hielten.
Sie
drückte die Hand ihres Dads und sagte: »Mir tut es auch leid, Dad.«
Und als er
sie verblüfft ansah, lächelte sie entschuldigend, vermied den wütenden Blick
ihrer Mum und rannte so schnell sie konnte über den Rasen, um Schutz zu suchen
im kühlen, dunklen Cardarker-Wald.
Percy
erfuhr per Zufall von Saffys Plänen. Wenn sie nicht von der Teetafel vor
Merediths Eltern geflüchtet wäre, hätte sie vielleicht nie etwas davon
erfahren. Oder erst zu spät. Zum Glück, sagte sie sich, fand sie es peinlich
und einfach unerträglich, wenn Menschen in der Öffentlichkeit ihre schmutzige
Wäsche wuschen, denn das hatte dazu geführt, dass sie ins Haus gegangen war,
eigentlich nur, um abzuwarten, bis sich die Wogen wieder geglättet hatten. Sie
hatte damit gerechnet, dass Saffy am Fenster hocken und von Weitem das
Geschehen verfolgen würde, dass sie sie mit Fragen bestürmen würde: Wie sind
ihre Eltern? Wie geht es Meredith? Hat ihnen der Kuchen geschmeckt? Und es
hatte sie ziemlich verblüfft, die Küche leer vorzufinden.
Dann war
Percy aufgefallen, dass sie die Teekanne immer noch in der Hand hielt, und da
sie ja unter dem Vorwand ins Haus gegangen war, frischen Tee zu kochen, setzte
sie den Wasserkessel auf den Herd. Während sie darauf wartete, dass das Wasser
kochte, fragte sie sich, womit sie das verdient hatte, an ein und demselben Tag
eine Hochzeit und eine Teegesellschaft über sich ergehen lassen zu müssen. Und
dann hatte plötzlich das Telefon im Anrichtezimmer schrill zu läuten begonnen.
Seit die Post darüber informiert hatte, dass private Gespräche wichtige
Kriegsnachrichten blockieren konnten, läutete das Telefon nur noch äußerst
selten. Entsprechend argwöhnisch, ja angstvoll klang daher ihre Stimme, als sie
schließlich den Hörer abnahm: »Schloss Milderhurst. Hallo?«
Der
Anrufer identifizierte sich als Mr. Archibald Wieks aus Chelsea und bat, Miss
Seraphina Blythe zu sprechen. Verdutzt fragte Percy, ob sie ihrer Schwester
etwas ausrichten könne, woraufhin der Mann erklärt hatte, er sei Saffys
Arbeitgeber und wolle mit Miss Blythe über das Zimmer sprechen, in dem sie ab
der kommenden Woche wohnen würde.
»Tut mir
leid, Mr. Wieks«, sagte Percy, während sie spürte, wie ihr ganz heiß wurde.
»Aber ich fürchte, da liegt ein Missverständnis vor.«
Ein Zögern
am anderen Ende
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