Morton, Kate
Mitgefühl
hervorruft. Sie war alles andere als ein Opfertyp, und so verwandelte sich mein
Mitleid in Bewunderung, in Respekt vor ihrer hartnäckigen Weigerung, sich
einzugestehen, dass das Haus um sie herum unaufhaltsam verfiel.
Und noch
etwas möchte ich unbedingt in Bezug auf Percy erwähnen: Für eine
Mittachtzigerin mit Stock war sie ausgesprochen gut zu Fuß.
Wir
besichtigten das Billardzimmer, den Tanzsaal, den Wintergarten, dann ging es
hinunter in die Dienstbotenräume. Wir eilten durch das Anrichtezimmer, die
Speisekammer, die Spülküche und gelangten schließlich in die Küche:
Kupfertöpfe und Kupferpfannen hingen an Haken an den Wänden, ein stattlicher
AGA-Herd rostete vor sich hin, auf dem gefliesten Boden standen aufgereiht
leere, bauchige Keramikgefäße. In der Mitte befand sich ein gewaltiger Tisch
aus Kiefernholz mit gedrechselten Beinen, dessen Platte übersät war mit den
Wunden von zahllosen Messern, in die man anstelle von Salz Mehl gestreut hatte.
Die Luft hier unten war kühl und abgestanden, und die Dienstbotenräume wirkten
noch verlassener als die Zimmer in den oberen Stockwerken. Dies waren die
ungenutzten Räder einer beeindruckenden viktorianischen Maschinerie, die dem
Zeitenwandel zum Opfer gefallen und schließlich zum Stillstand gekommen war.
Ich war
nicht die Einzige, die die Trostlosigkeit registrierte.
»Kaum zu
glauben, dass hier früher so viel Leben geherrscht hat«, sagte Percy Blythe, während
sie mit den Fingern über die Kerben in der Tischplatte fuhr. »Meine Großmutter
hatte noch vierzig Hausangestellte. Vierzig. Man vergisst, wie sehr das Haus
einmal geglänzt hat.«
Der Boden
war übersät mit kleinen, braunen Kügelchen, die ich zuerst für Sandkörner
hielt, aber an der Art und Weise, wie sie unter den Füßen knirschten, erkannte
ich, dass es sich um Mäusekötel handelte. Ich nahm mir im Stillen vor, dankend
abzulehnen, falls man mir Kuchen anbieten sollte.
»Als wir
Kinder waren, gab es noch etwa zwanzig Bedienstete und außerdem fünfzehn
Gärtner, die das Grundstück in Ordnung gehalten haben. Der Erste Weltkrieg hat
alldem ein Ende gesetzt: Sie haben sich zum Militär gemeldet, bis auf den letzten
Mann. Die meisten jungen Männer haben das getan.«
»Und
keiner ist zurückgekehrt?«
»Zwei.
Zwei sind wieder nach Hause gekommen, aber sie waren nicht mehr dieselben. Wir
haben sie natürlich wieder eingestellt, alles andere wäre undenkbar gewesen,
aber sie haben nicht lange durchgehalten.«
Ich war
mir nicht sicher, ob sie damit die Dauer ihrer Beschäftigung oder ihres Lebens
meinte, aber sie ließ mir keine Zeit nachzufragen.
»Danach
haben wir uns mit Hilfskräften beholfen, aber als dann der Zweite Weltkrieg
ausbrach, war kein Gärtner mehr zu finden, nicht für Geld und gute Worte.
Welcher junge Mann wäre wohl bereit gewesen, Lustgärten zu pflegen, wenn er in
den Krieg ziehen konnte? Zumindest keiner von der Sorte, die wir gern in unsere
Dienste genommen hätten. Haushaltshilfen waren genauso rar. Damals waren wir
alle mit anderen Dingen beschäftigt.« Sie stand auf ihren Stock gestützt, und
die Haut über den Wangenknochen erschlaffte, als sie ihre Gedanken in die
Vergangenheit wandern ließ.
Ich
räusperte mich und sagte leise: »Und jetzt? Haben Sie noch irgendeine
Haushaltshilfe?«
»Aber ja.«
Mit einer wegwerfenden Handbewegung wandte sie sich wieder der Gegenwart zu.
»Wir haben noch eine alte treue Seele, die uns einmal die Woche beim Kochen und
Putzen hilft, und einer der Bauern aus der Gegend sorgt dafür, dass die Zäune
nicht umfallen. Dann gibt es noch einen jungen Mann, Mrs. Birds Neffen aus dem
Dorf, der den Rasen mäht und versucht, das Unkraut in Schach zu halten. Er
macht seine Sache recht gut, aber echte Arbeitsmoral scheint etwas zu sein, das
der Vergangenheit angehört.« Ein kurzes Lächeln blitzte auf. »Ansonsten müssen
wir hier allein zurechtkommen.«
Ich
erwiderte ihr Lächeln, als sie auf den engen Dienstbotenaufgang wies und
fragte: »Sagten Sie nicht, dass Sie eine leidenschaftliche Leserin sind?«
»Meine
Mutter behauptet, dass ich mit einem Buch in der Hand auf die Welt gekommen
bin.«
»Dann
werden Sie sicherlich unsere Bibliothek sehen wollen.«
Ich hatte
gelesen, dass die Bibliothek von Schloss Milderhurst demselben Brand zum Opfer
gefallen war, der auch die Mutter der Zwillinge das Leben gekostet hatte, und
ich bin mir nicht sicher, was ich eigentlich hinter der schwarzen Tür am Ende
des
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