Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
Vom Netzwerk:
Samtsessel und schaute durch das offene Fenster
auf die Parklandschaft hinaus. Dünne Schwaden von Zigarettenqualm stiegen aus
einem Kristallaschenbecher auf und ließen ihre Umrisse unscharf erscheinen. Im
Gegensatz zu ihren Schwestern war an ihrer Kleidung nichts Gepflegtes. Sie
trug die internationale Tracht des ewigen Patienten: eine schlecht sitzende
hochgeschlossene Bluse, die in eine unförmige Hose gestopft war. Außerdem war
ihre Kleidung voller Fettflecken, als hätte sie sich beim Essen bekleckert.
    Vielleicht
spürte Juniper meinen Blick, denn sie drehte den Kopf ein wenig zu mir. Ihr
Blick war glasig und unstet, was auf starke Medikamente schließen ließ, und als
ich ihr zulächelte, zeigte sie keine Reaktion, sondern starrte mich an, als
wollte sie mich mit ihrem Blick durchbohren.
    Während
ich sie anschaute, nahm ich ein leises Geräusch wahr, das mir vorher nicht
aufgefallen war. Ein kleiner Fernseher stand auf einem Beistelltisch unter dem
Fenster. Gerade lief eine amerikanische Sitcom mit diesen penetranten
Dauerdialogen, unterbrochen von Lachkonserven, die wie Störrauschen klangen.
Die Situation kam mir vertraut vor, der laufende Fernseher, der warme, sonnige
Tag draußen, die schlechte, abgestandene Luft drinnen: eine wehmütige
Erinnerung an meine Besuche während der Schulferien bei meiner Großmutter, bei
der ich tagsüber fernsehen durfte.
    »Was
willst du hier?«
    Der
plötzliche eiskalte Schlag machte die angenehmen Erinnerungen an meine
Großmutter zunichte. Juniper Blythe starrte mich immer noch an, aber ihr
Gesichtsausdruck war jetzt alles andere als leer. Er war entschieden
abweisend.
    »Ich, äh
... hallo«, sagte ich, »ich ...«
    »Was hast
du hier zu suchen?«
    Der
Lurcher stieß ein klägliches Jaulen aus.
    »Juniper!«
Saffy eilte zu ihrer Schwester. »Liebes. Edith ist unser Gast.« Sie nahm das
Gesicht ihrer Schwester sanft in beide Hände. »June, das habe ich dir doch
erzählt, erinnerst du dich nicht? Ich habe es dir alles erklärt: Edith ist
hier, weil sie sich das Haus ein bisschen ansehen möchte. Percy macht eine
kleine Führung mit ihr. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Liebes, es ist
alles in Ordnung.«
    Während
ich nur noch den dringenden Wunsch verspürte, mich in Luft aufzulösen,
tauschten die Zwillinge einen Blick aus, der so selbstverständlich auf ihre
verwitterten Gesichtszüge trat, dass sie ihn zweifellos schon unzählige Male
zuvor ausgetauscht haben mussten. Percy nickte Saffy schmallippig zu, und dann
verschwand der Ausdruck wieder, ehe ich begriff, warum dieser Blick mir ein
derartiges Unbehagen bereitete.
    »Also
dann«, sagte sie mit gespielter Fröhlichkeit, die mich zusammenzucken ließ.
»Die Zeit wird knapp. Wollen wir, Miss Burchill?«
     
    Erleichtert
folgte ich ihr aus dem Zimmer um eine Ecke und in einen weiteren kühlen,
dämmrigen Korridor.
    »Ich zeige
Ihnen zuerst die hinteren Zimmer«, sagte sie, »aber dort werden wir uns nicht
lange aufhalten. Da gibt es nicht viel zu sehen. Schon seit Jahren ist alles
mit Tüchern abgedeckt.«
    »Warum
das?«
    »Weil die
Zimmer nach Norden liegen.«
    Percy
hatte einen schneidenden Tonfall, wie ihn früher die Sprecher beim Rundfunk
hatten, als die BBC noch bei allem, was eine Nachricht wert war, das letzte
Wort hatte. Kurze Sätze, perfekte Diktion, und ein Punkt war ein Punkt. »Im
Winter alles zu heizen ist unmöglich«, sagte sie. »Aber wir sind ja nur zu
dritt und brauchen nicht viel Platz. Es war einfacher, einige Türen für immer
zu verriegeln. Meine Schwestern und ich haben uns im Westflügel eingerichtet,
in der Nähe des gelben Salons.«
    »Klingt
vernünftig«, sagte ich. »In einem Haus dieser Größe muss es ja Hunderte von
Zimmern geben. All die Stockwerke. Ich würde mich wahrscheinlich andauernd
verlaufen.« Ich merkte selbst, dass ich nur noch drauflosplapperte, aber ich
konnte nichts dagegen tun. Meine Unfähigkeit, Small Talk zu betreiben, die Aufregung,
endlich im Innern des Schlosses zu sein, die Beklommenheit nach der Szene mit
Juniper ... wie auch immer, es war eine tödliche Kombination. Ich holte tief
Luft und fuhr zu meinem Entsetzen fort: »Aber Sie wohnen ja schon Ihr Leben
lang hier und haben bestimmt kein Problem damit ...«
    »Tut mir
leid«, erwiderte sie scharf und drehte sich zu mir um. Selbst im Dämmerlicht
konnte ich erkennen, dass sie bleich geworden war. Sie wird mich auffordern zu gehen, dachte ich; mein Besuch ist zu viel für sie, sie ist alt und müde,

Weitere Kostenlose Bücher