Morton, Kate
sie selbstverständlich nie zu jemandem über die
seltsame Enttäuschung gesprochen, die sie in sich spürte, seit die nächtlichen
Bombenangriffe aufgehört hatten. Natürlich war es vollkommen absurd, sich nach
Bedrohung und Zerstörung zurückzusehnen; alles andere als vorsichtiger
Optimismus war schon fast ein Sakrileg, und doch brachte sie seit Monaten eine
fürchterliche Gereiztheit um den Schlaf, wenn sie mit geübten Ohren in den
stillen Nachthimmel lauschte.
Wenn es
etwas gab, worauf Percy stolz war, dann war es ihre Fähigkeit, in jeder
Lebenssituation pragmatisch vorzugehen - irgendjemand musste es schließlich tun
-, und so hatte sie sich entschlossen, den Dingen auf den Grund zu gehen. Eine
Möglichkeit zu finden, die kleine Uhr zum Schweigen zu bringen, die in ihr
tickte, ohne je schlagen zu dürfen. Über einen Zeitraum von mehreren Wochen,
in denen sie sorgfältig darauf geachtet hatte, sich ihren labilen inneren
Zustand nicht anmerken zu lassen, hatte Percy ihre Situation überdacht, ihre Gefühle
aus allen Blickwinkeln durchleuchtet und war schließlich zu der Erkenntnis
gelangt, dass sie ziemlich eindeutig verrückt war.
Es war zu
erwarten gewesen; Wahnsinn lag ebenso in der Familie wie künstlerisches Talent
und lange Gliedmaßen. Percy hatte gehofft, davon verschont zu bleiben, aber
jetzt war es so weit. Die Gene waren gnadenlos. Und wenn sie ehrlich war, war
sie nicht schon immer davon ausgegangen, dass es nur eine Frage der Zeit war,
bis sich bei ihr eine Schraube lockern würde?
Natürlich
war ihr Vater schuld, vor allem die gruseligen Geschichten, die er ihnen
erzählt hatte, als sie noch klein waren, so klein, dass er sie noch herumtragen
und auf seine Knie setzen konnte, so klein, dass sie sich noch auf seinem
breiten, warmen Schoß einkuscheln konnten. Er hatte ihnen Geschichten erzählt
von der Vergangenheit ihrer Familie, von dem Land, auf dem Milderhurst
entstanden war, das im Lauf der Jahrhunderte Dürreperioden und fruchtbare
Zeiten erlebt hatte, das überflutet und urbar gemacht worden war und um das
sich im Laufe der Zeit viele Sagen gerankt hatten. Er hatte von Gebäuden erzählt,
die abgebrannt und wieder aufgebaut worden waren, die verfallen waren, die
geplündert, dem Erdboden gleichgemacht und vergessen worden waren; von Menschen,
die vor ihnen im Schloss gewohnt hatten; von Epochen der Eroberung und der
Unterwerfung, aus deren Schichten der Boden Englands und der ihres geliebten
Milderhurst bestand.
In den
Worten eines Erzählers entwickelten die geschichtlichen Ereignisse eine große
Faszination, und einen ganzen Sommer lang, als Percy acht oder neun Jahre alt
gewesen und ihr Vater in den Krieg gezogen war, hatte sie von Invasoren geträumt,
die über die Felder auf sie zugestürmt kamen. Sie hatte von Saffy verlangt,
dass sie ihr half, in den Bäumen im Cardarker-Wald Festungen zu bauen,
Waffenlager anzulegen und Schösslinge zu köpfen, die ihr missfielen. Sie hatten
alles unternommen, damit sie, wenn der Tag kam, an dem sie ihre Pflicht
erfüllen und das Schloss gegen die anstürmenden Horden verteidigen mussten,
gewappnet waren ...
Der Bus
rumpelte um eine Ecke, und Percy verdrehte die Augen angesichts ihrer
Erinnerungen. Vollkommen lächerlich. Die Fantasien eines kleinen Mädchens waren
eine Sache, aber dass die Stimmungen einer erwachsenen Frau immer noch davon
beeinflusst wurden? Das war wirklich traurig. Mit einem verächtlichen
Schnauben zeigte sie sich selbst die kalte Schulter.
Die Fahrt
dauerte lange, viel länger als gewöhnlich, und sie konnte von Glück reden, wenn
sie es rechtzeitig zum Pudding schaffte. Woraus auch immer der bestehen mochte.
Gewitterwolken zogen sich zusammen, die Dunkelheit würde bald einsetzen, und
der Bus, der ohnehin nur ganz schwache Scheinwerfer besaß, hielt sich
vorsichtshalber dicht am Straßenrand. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr:
Schon halb fünf. Juniper wurde um halb sieben erwartet, der junge Mann um
sieben, und Percy hatte versprochen, um vier zu Hause zu sein. Die Jungs vom
Zivilschutz hatten sicherlich ihre Befehle gehabt, als sie den Bus für eine
Routineüberprüfung angehalten hatten, aber ausgerechnet heute Abend hatte sie
Wichtigeres zu tun. Zum Beispiel dafür zu sorgen, dass die Vorbereitungen in
Milderhurst ohne allzu große Aufregung vonstattengingen.
Wie
wahrscheinlich war es, dass Saffy sich im Lauf des Tages nicht in einen
nervösen Zustand hineingesteigert hatte? Nicht sehr, dachte Percy.
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