Morton, Kate
gebieterischen Tonfall, den eine
viktorianische Kinderfrau einem Kind gegenüber angeschlagen hätte. »Es war mir
ein Vergnügen, die junge Dame herumzuführen.«
»Selbstverständlich.
Wie in alten Zeiten. Es muss wunderbar für Sie sein zu ...«
»Gewiss.«
»Was für
eine Schande, dass die Führungen eingestellt wurden. Andererseits vollkommen
verständlich, wir können Ihnen und Miss Saffy dankbar sein, dass es die
Führungen überhaupt so lange gegeben hat, vor allem, wo Sie so viel ...«
»Gewiss,
gewiss.« Percy Blythe straffte sich, und da wurde mir plötzlich klar, dass sie
Mrs. Bird nicht leiden konnte. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen.« Sie
neigte den Kopf in Richtung der offenen Tür, vor der die Außenwelt heller,
lauter und schneller zu sein schien als zu dem Zeitpunkt, als ich sie verlassen
hatte.
»Vielen
Dank«, sagte ich, ehe sie verschwinden konnte, »dass Sie mir Ihr schönes Haus
gezeigt haben.«
Sie
musterte mich länger als nötig, dann ging sie den Flur hinunter, leise hörte
man das Geräusch ihres Stocks auf dem Boden. Nach einigen Schritten blieb sie
stehen und drehte sich um, kaum noch erkennbar in dem schummrigen Licht. »Es
war einmal schön, wissen Sie. Früher. Vorher.«
1
29. Oktober 1941
E ins war sicher: Es würde kein Mond scheinen in dieser
Nacht. Der Himmel war schwer, ausgedehnte Flächen aus Grau, Weiß und Gelb, wild
ineinandergerührt wie auf der Palette eines Malers. Percy rollte die Zigarette
zwischen den Fingern hin und her und leckte das Blättchen an, um es zuzukleben.
Ein Flugzeug dröhnte am Himmel, eins der ihren, ein Aufklärer unterwegs nach
Süden, zur Küste. Natürlich mussten sie einen Aufklärer losschicken, aber er
würde nichts zu berichten haben, nicht in einer solchen Nacht, nicht jetzt.
Von dort,
wo sie an den Ambulanzwagen gelehnt stand, verfolgte Percy das Flugzeug mit
zusammengekniffenen Augen - ein braunes Insekt, das kleiner und kleiner wurde.
Vom anstrengenden Hinsehen musste sie gähnen, und sie rieb sich die Augen, bis
sie angenehm brannten. Als sie sie wieder öffnete, war das Flugzeug
verschwunden.
»He! Beschmier
mir nicht meine polierte Kühlerhaube und den Kotflügel, du Faulenzerin!«
Percy
drehte sich um und legte den Ellbogen auf das Wagendach. Es war Dot, die
grinsend aus der Tür des Lazaretts trat.
»Du
solltest mir dankbar sein«, rief Percy. »So brauchst du in deiner nächsten
Schicht keine Däumchen zu drehen.«
»Stimmt
auch wieder. Oder der Chef lässt mich schon wieder Geschirrtücher waschen.«
»Oder du
darfst den Sanitätern noch mal den Umgang mit Krankentragen erklären.« Percy
hob eine Braue. »Könnte es etwas Besseres geben?«
»Zum
Beispiel die Verdunkelungsvorhänge flicken.«
Percy
verzog das Gesicht. »Wie entsetzlich.«
»Wenn du
lange genug hierbleibst, hast du früher oder später eine Nähnadel in der Hand«,
prophezeite Dot und lehnte sich neben Percy an den Wagen. »Viel mehr gibt's
hier nicht zu tun.«
»Er hat
also schon Nachricht erhalten?«
»Die Jungs
von der Air Force haben sich eben gemeldet. Nichts am Horizont, nicht heute
Nacht.«
»Das hab
ich mir schon gedacht.«
»Aber es
ist nicht nur das Wetter. Der Offizier sagt, die verfluchten Deutschen sind
inzwischen zu sehr mit ihrem Marsch nach Moskau beschäftigt, um sich noch für
uns zu interessieren.«
»Die
müssen schön dumm sein«, bemerkte Percy, während sie ihre Zigarette
betrachtete. »Der Winter ist längst vor denen da.«
»Ich nehme
an, du hast trotzdem vor zu bleiben, die Nervensäge zu spielen und darauf zu
hoffen, dass sich doch noch ein deutscher Bomber hierherverirrt und aus
Versehen eine Ladung in der Nähe abwirft?«
»Ich hatte
es in Erwägung gezogen«, erwiderte Percy, steckte die Zigarette ein und schlang
sich ihre Tasche über die Schulter. »Aber ich hab's mir anders überlegt. Heute
Nacht könnte mich nicht mal eine Invasion dazu bringen, dass ich hierbleibe.«
Dots Augen
weiteten sich. »Was hat das denn zu bedeuten? Hat dich ein gut aussehender
junger Mann zum Tanz eingeladen?«
»Leider
nicht. Aber trotzdem gute Neuigkeiten.« »Ach?«
Der Bus
kam, und Percy musste schreien, um den Motor zu übertönen, als sie einstieg.
»Meine kleine Schwester kommt heute Abend nach Hause.«
Percy war
genauso wenig für Krieg wie alle anderen - sie hatte sogar häufiger als die
meisten Gelegenheit gehabt, Zeugin der Schrecken zu werden, die er mit sich
brachte -, und deswegen hatte
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