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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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hatten suchen müssen. Dass
Juniper sich gar nicht erst die Mühe machte, war für Saffy Beweis genug, dass
ihre kleine Schwester ihr mütterliches Interesse geradezu begrüßte. Und jetzt
lag Junipers Tagebuch vor ihr, aufgeschlagen an einer Seite neueren Datums.
Also, da wäre es doch beinahe gefühllos, nicht wenigstens einen kurzen Blick
darauf zu werfen.
     
    5
     
    An den
Eingangstufen, wo Percy immer ihr Fahrrad ab stellte,
wenn sie zu müde, zu faul oder zu sehr in Eile war, um es in den Stall zu
schieben, was häufig vorkam, stand schon ein Fahrrad. Das war ungewöhnlich -
Saffy hatte keinen weiteren Gast erwähnt außer Juniper und diesem Thomas Cavill,
die auf keinen Fall mit dem Fahrrad, sondern mit dem Bus kommen würden.
    Percy
stieg die Stufen hoch und kramte in ihrem Beutel nach dem Schlüssel. Saffy,
überzeugt davon, dass Milderhurst auf Hitlers Englandkarte rot eingekreist war
und die Nazis die Schwestern Blythe ins Gefängnis werfen wollten, hatte sich
seit Kriegsbeginn angewöhnt, die Eingangstür abzuschließen, was Percy
eigentlich in Ordnung fand, außer dass ihr Hausschlüssel dazu neigte, stets
unauffindbar zu sein.
    Enten
schnatterten auf dem Teich, die dunklen Wipfel des Cardarker-Walds wogten, der
Donner rollte immer näher heran, und ihre Suche schien kein Ende zu nehmen.
Als sie es gerade aufgeben und sich mithilfe ihrer Fäuste bemerkbar machen
wollte, ging die Tür auf, und Lucy Middleton stand vor ihr, das Haar unter
einem Kopftuch verborgen und in der Hand eine schwach leuchtende Fahrradlampe.
    »Meine
Güte!« Die ehemalige Haushälterin fasste sich mit der freien Hand an die Brust.
»Haben Sie mich erschreckt!«
    Percy
öffnete den Mund, fand jedoch keine Worte und machte ihn wieder zu. Sie warf
sich ihren Beutel über die Schulter.
    »Ich - ich
habe im Haus ausgeholfen«, fuhr Lucy mit hochrotem Gesicht fort. »Miss Saffy
hat mich angerufen. Heute Nachmittag. Ihre Haushaltshilfen hatten heute beide
keine Zeit.«
    Percy
räusperte sich und bereute es auf der Stelle. Ihr Krächzen verriet ihre
Nervosität, und Lucy Middleton war die Letzte, vor der sie sich eine Blöße
geben wollte. »Dann ist also alles fertig für heute Abend?«
    »Das
Kaninchen ist im Ofen, und ich habe Miss Saffy Anweisungen dagelassen.«
    »Verstehe.«
    »Das Essen
muss langsam garen. Ich fürchte, dass Miss Saffy zuerst überkocht.«
    Es war ein
kleiner Scherz, aber Percy zögerte zu lange mit dem Lachen. Sie überlegte, was
sie sagen sollte, aber es gab zu wenig und zugleich zu viel, und Lucy
Middleton, die erwartungsvoll vor ihr stand, musste gespürt haben, dass nichts
mehr kommen würde, denn sie schob sich verlegen um Percy herum und ging zu
ihrem Fahrrad.
    Nein, sie
hieß ja gar nicht mehr Middleton, sie hieß jetzt Rogers. Sie und Harry waren
schon über ein Jahr verheiratet. Fast anderthalb.
    »Auf Wiedersehen, Miss Percy.« Lucy stieg auf ihr Fahrrad.
»Und dein Mann?«, fragte Percy hastig und verachtete sich sogleich dafür. »Geht
es ihm gut?« Lucy schaute sie nicht an. »Ja.« »Und dir natürlich auch?« »Ja.«
    »Und dem Baby?« Beinahe ein Flüstern. »Ja.«
    Ihre
Körpersprache war die eines Kindes, das gescholten, ja, das geschlagen wurde,
und Percy verspürte plötzlich große Lust, Lucys Erwartungen zu erfüllen.
Natürlich tat sie es nicht, sondern wählte einen beiläufigen Ton, weniger
gereizt, beinahe unbeschwert: »Würdest du deinem Mann ausrichten, dass die
Standuhr in der Eingangshalle immer noch vorgeht? Ganze zehn Minuten?« »Ja, in
Ordnung.«
    »Die Uhr
lag ihm doch stets am Herzen, wenn ich mich recht erinnere?«
    Lucy wich
ihrem Blick weiterhin aus, murmelte jedoch eine unverständliche Antwort, bevor
sie sich aufs Rad setzte und losfuhr. Das Licht der Lampe zeichnete eine
zitternde Botschaft auf den Weg vor ihr.
     
    Als Saffy hörte,
wie die Haustür zugeschlagen wurde, klappte sie das Tagebuch zu. Ihre Schläfen
und Wangen pochten, die Haut über ihren Brüsten spannte sich. Ihr Puls schlug
schneller als das Herz eines kleinen Vogels. Tja. Leicht schwankend stand sie
vom Boden auf, wo sie gesessen hatte. Damit hatte das Rätselraten jedenfalls
ein Ende, das Geheimnis um den bevorstehenden Abend, das aufwendig geänderte
Kleid, den jungen Gast. Es war also gar kein Fremder. Nein. Ganz und gar kein
Fremder.
    »Saffy?«
Percys Stimme drang scharf und ärgerlich durch alle Etagen.
    Saffy
hielt sich die Stirn, wappnete sich für die Aufgabe, die vor ihr lag. Sie
wusste, was

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