Morton, Kate
altes römisches Kriegsschiff, das mit geblähten Segeln
dahinbrauste, während zwei Liebende sich unter Deck versteckten, bis ein Befehl
geschrien wurde und es so aussah, als würden sie entdeckt ... Und dann hörte
die Erzählung mittendrin auf, weil Juniper das Interesse an ihr verloren hatte.
Dann gab
es Geschichten, die in einem Anfall von Arbeitswut angefangen und beendet
wurden, der blanke Wahnsinn, dachte Saffy manchmal, auch wenn dieses Wort in
der Familie Blythe nicht leichtfertig benutzt wurde, erst recht nicht in Bezug
auf Juniper. Häufig erschien die jüngste Schwester nicht zum Abendessen, und
unter der Tür des Kinderzimmers war ein heller Lichtstreifen zu sehen. Der
Vater wies den Rest der Familie an, sie nicht zu stören, die Bedürfnisse des
Körpers seien zweitrangig gegenüber den Ansprüchen des Geistes, aber Saffy
hatte jedes Mal heimlich einen Teller mit Essen hinaufgebracht. Nicht dass
Juniper je etwas davon angerührt hätte. Sie schrieb pausenlos, die ganze Nacht
hindurch. Es überkam sie plötzlich und heftig, wie ein Tropenfieber, das kurz
aufflammte und am nächsten Tag verschwunden war. Wenn sie am Morgen nach unten
kam, war sie erschöpft, wie benommen, ausgelaugt. Dann rekelte sie sich auf dem
Sofa und gähnte auf ihre katzenhafte Art, und der Dämon war ausgetrieben und
vergessen.
Und das
war das Seltsamste für Saffy, die ihre eigenen Geschichten - Entwürfe und
Endfassungen - in gleich großen Schachteln sammelte und hübsch und sauber
gestapelt im Familienarchiv aufbewahrte, die beim Schreiben von der erregenden
Aussicht angetrieben wurde, ihr Werk eines Tages zu einem Buch binden lassen
und einem Leser in die Hand drücken zu können. Juniper interessierte es nicht
im Geringsten, ob das, was sie schrieb, von irgendjemandem gelesen wurde. Dass
sie ihre Texte niemandem zeigen wollte, hatte nichts mit falscher
Bescheidenheit zu tun; es war ihr schlichtweg egal. Wenn sie einmal etwas
aufgeschrieben hatte, interessierte es sie nicht mehr. Wenn Saffy dies Percy
gegenüber erwähnt hatte, war diese jedes Mal völlig verblüfft gewesen, aber
das war auch nicht anders zu erwarten. Die arme Percy, die nicht die Spur einer
künstlerischen Ader besaß ...
Sieh mal
einer an! Saffy hielt inne, immer noch auf allen vieren. Was kam denn da unter
dem Papiergestrüpp zum Vorschein? Großmutters silberner Vorlegelöffel, nach
dem Saffy den halben Tag gesucht hatte! Sie setzte sich auf die Fersen und
stützte sich mit den Händen auf die Schenkel, um sich zu strecken und die
Schmerzen in ihrem Rücken zu lindern. Sie und Lucy hatten sämtliche Schubladen
im Haus durchwühlt, dabei hatte der Löffel die ganze Zeit in Junipers Zimmer
unter einem Stapel Papier gelegen, einfach unglaublich. Saffy wollte den Löffel
gerade an sich nehmen - auf dem Griff entdeckte sie einen seltsamen Fleck, den
sie sich würde vornehmen müssen -, als sie feststellte, dass er als eine Art
Lesezeichen diente. In einem Notizheft, das mit Junipers unleserlicher
Handschrift vollgekritzelt war. Aber die gekennzeichnete Seite trug ein Datum.
Saffys Augen, geschult durch lebenslanges unersättliches Lesen, waren schneller
als ihre guten Manieren, und in dem Bruchteil einer Sekunde, die sie brauchte,
um zu blinzeln, hatte sie erfasst, dass es sich um ein Tagebuch handelte und
dass der Eintrag neueren Datums war. Mai 1941, kurz bevor
Juniper nach London abgereist war.
Es war
einfach ungeheuerlich, in einem fremden Tagebuch zu lesen, und Saffy selbst
wäre zutiefst gekränkt, würde jemand ihre Privatsphäre derart verletzen, aber
Juniper hatte sich noch nie für Verhaltensregeln interessiert, und Saffy fand,
auch wenn sie nicht mit Worten hätte erklären können, warum, dass diese Tatsache
es ihr erlaubte, einen Blick in das Heft zu werfen. Junipers Angewohnheit,
persönliche Aufzeichnungen offen herumliegen zu lassen, war doch wie eine
Aufforderung an ihre ältere Schwester, ihre Ersatzmutter, sich zu vergewissern,
dass alles in Ordnung war. Juniper war fast neunzehn, aber sie war ein Spezialfall.
Sie war nicht wie andere Erwachsene für sich selbst verantwortlich. Wie
sollten Saffy und Percy ihre Rolle als Junipers Vormünder erfüllen, wenn sie
nicht dafür sorgten, dass sie über die Angelegenheiten ihrer kleinen Schwester
im Bilde waren? Ihre Kinderfrau hätte keine Sekunde gezögert, die Tagebücher
und Briefe zu lesen, die ihre Schutzbefohlenen offen herumliegen ließen,
weshalb die Zwillinge sich immer neue Verstecke
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