Morton, Kate
war.
Saffy fuhr
mit den Fingerspitzen über den seidenen Stoff. Die Farbe war exquisit. Eine
schimmernde Andeutung von Rosa, wie die Unterseite der Pilze, die bei der Mühle
wuchsen, eine Farbe, die ein flüchtiger Blick für Creme halten konnte, die sich
erst bei näherem Hinsehen erschloss. Saffy hatte wochenlang an den Änderungen
gearbeitet, immer heimlich, aber das falsche Spiel war die Sache wert gewesen.
Sie hob den Saum an, um die feine Handarbeit noch einmal zu überprüfen, dann
glättete sie ihn zufrieden. Sie trat einen kleinen Schritt zurück, um ihr Werk
zu bewundern. Ja, es war wunderschön; aus einem Kleid, das schön, aber
altmodisch gewesen war, hatte sie mithilfe der Lieblingshefte aus ihrer Vogel-Sammlung
ein Kunstwerk geschaffen. Wenn das unbescheiden klang, bitte sehr. Saffy
wusste sehr wohl, dass dies womöglich ihre letzte Gelegenheit war, das Kleid in
seiner ganzen Pracht zu betrachten (die traurige Wahrheit war, dass man nicht
wissen konnte, welches grausame Schicksal es erwartete, wenn Juniper es erst
einmal in Besitz genommen hatte), und sie wollte sich diesen großartigen Augenblick
nicht mit falscher Bescheidenheit verderben.
Sie warf
einen verstohlenen Blick hinter sich, dann nahm sie das blassrosafarbene Kleid
vom Bügel, um sein Gewicht noch einmal in den Händen zu spüren. Alle besonders
schönen Kleider hatten ein angenehmes Gewicht. Sie schob die Zeigefinger unter
die Träger, hielt sich das Kleid an und trat vor den Spiegel. Sie biss sich
auf die Lippe. So wie sie dastand, den Kopf leicht zur Seite geneigt, eine
Angewohnheit aus der Kindheit, die sie nie hatte ablegen können, in dem
abgedunkelten Zimmer, ein paar Schritte vom Spiegel entfernt, hätte man meinen
können, dass die Jahre nie vergangen waren. Wenn sie die Augen ein bisschen
zusammenkniff, ein bisschen breiter lächelte, hätte man sie für die
Achtzehnjährige halten können, die bei der Premiere von Vaters Stück in London
neben ihrer Stiefmutter stand, sie um das blassrosa Kleid beneidete und sich
schwor, dass auch sie eines Tages so ein wundervolles Kleid tragen würde,
vielleicht ja zu ihrer eigenen Hochzeit.
Als Saffy
das Kleid wieder auf den Bügel hängte, trat sie aus Versehen auf ein Trinkglas,
eins aus einer Garnitur, die die Familie Asquith ihren Eltern zur Hochzeit
geschenkt hatte. Sie seufzte; Junipers Respektlosigkeit kannte wirklich keine
Grenzen. Saffy konnte das Glas beim besten Willen nicht so auf dem Boden
liegen lassen. Sie bückte sich, um es aufzuheben, und als sie sich gerade
wieder aufrichten wollte, entdeckte sie eine Tasse aus Limoges-Porzellan unter
einer alten Zeitung; ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte sie ihre eigene
goldene Regel übertreten und war dabei, auf allen vieren das Zimmer in Ordnung
zu bringen. Innerhalb weniger als einer Minute hatte sie eine kleine Sammlung
Gläser und Geschirrteile angehäuft, aber dadurch hatte sich an dem allgemeinen
Chaos nichts geändert. All das Papier, all die beschriebenen Zettel.
Das
Durcheinander, Junipers Unfähigkeit, irgendeine Ordnung herzustellen, einen
Gedanken festzuhalten, bereiteten Saffy beinahe körperliche Schmerzen. Juniper
und Saffy waren beide Schriftstellerinnen, aber ihre Methoden konnten nicht
gegensätzlicher sein. Saffy hatte sich angewöhnt, täglich einige kostbare
Stunden auf das Schreiben zu verwenden, in denen sie still an ihrem
Schreibtisch saß, vor sich ein Notizheft, den Federhalter, den ihr Vater ihr
zum sechzehnten Geburtstag geschenkt hatte, und eine Kanne mit frisch
aufgebrühtem, starken Tee. Sorgfältig und langsam brachte sie ihre Worte in
eine gefällige Ordnung, schrieb, formulierte um, korrigierte und
perfektionierte, las sich ihre Texte laut vor und genoss es, die Geschichte
ihrer Heldin Adele mit Leben zu füllen. Erst wenn sie voll und ganz mit dem
Ergebnis zufrieden war, zog sie ihre Olivetti heran und tippte den nächsten
Absatz ab.
Juniper
dagegen schrieb wie jemand, der versuchte, sich von einem inneren Ballast zu
befreien. Sie schrieb an jedem Ort, wo sie sich inspiriert fühlte, sie schrieb,
wo sie ging und stand, verstreute auf ihrem Weg Gedichtentwürfe, Skizzen,
deplatzierte und daher umso ausdrucksstärkere Adjektive, verstreute ihre Worte
im ganzen Haus wie Brotkrumen, die den Weg wiesen zu ihrem Lebkuchenzimmer
unter dem Dach. Manchmal fand Saffy solche Zettel beim Putzen, vollgekritzelte
Seiten hinter dem Sofa, unter dem Teppich, und dann verlor sie sich in der
Geschichte um ein
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