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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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musste an meine geheimen Wünsche
im dunklen Schlafzimmer meiner Kusinen denken. Ein Kind, das sich nicht zugehörig
fühlt. Aber ich sagte nichts. Ich hatte den Eindruck, dass für jemanden wie
meine Tante, die das Glück gehabt hatte, genau den Platz zu finden, an den sie
gehörte, keine Erklärung akzeptabel wäre. »Vielleicht hatte sie Angst vor den
Bomben«, sagte ich schließlich. Meine Stimme klang brüchig, und ich räusperte
mich. »Vor dem Blitzkrieg.«
    »Quatsch.
Sie hatte keine Angst, nicht mehr als wir anderen. Andere Kinder wollten lieber
mittendrin im Geschehen sein. Alle Kinder aus unserer Straße sind wieder nach
Hause gekommen, wir sind zusammen in die Luftschutzkeller gegangen. Und dein
Onkel?« Ritas Miene bekam etwas Ehrfürchtiges bei der Erwähnung meines
gefeierten Onkels Ed. »Der ist aus Kent nach Hause getrampt, weil er unbedingt
dabei sein wollte, als es losging. Mitten in einem Bombenangriff stand er
plötzlich vor der Tür, gerade rechtzeitig, um den armen Depp von nebenan in
Sicherheit zu bringen. Aber Merry nicht, o nein. Im Gegenteil. Die hat sich
gesträubt, nach Hause zu kommen, bis unser Vater hingefahren ist und sie
abgeholt hat. Unsere Mutter, deine Großmutter, ist nie darüber hinweggekommen.
Sie hat es nie ausgesprochen, das war nicht ihre Art, sie hat immer so getan,
als wäre sie froh, Merry auf dem Land in Sicherheit zu wissen, aber wir wussten
es besser. Wir waren ja nicht blind.«
    Ich konnte
meiner Tante nicht in die Augen sehen. Ich hatte das Gefühl, nicht besser zu
sein; schuldig durch Mittäterschaft. Der Verrat meiner Mutter an Rita war immer
noch real, er hatte eine Feindschaft zwischen den Schwestern ausgelöst, die
selbst nach fünfzig Jahren noch schwelte. »Wann war das?«, fragte ich und nahm
mir den nächsten weißen, unschuldigen Beutel vor. »Wie lange war sie weg?«
    Tante Rita
bohrte eine pinkfarbene Kralle in ihre Unterlippe. »Lass mich überlegen, das
mit den Bombardierungen ging schon eine ganze Weile, aber es war noch nicht
Winter, denn mein Vater hat Schlüsselblumen mitgebracht, als er mit ihr zurückkam;
er hat alles getan, um deine Großmutter zu trösten, es ihr so leicht wie
möglich zu machen. So war mein Vater.« Der Fingernagel klopfte einen
nachdenklichen Rhythmus. »Das muss irgendwann einundvierzig gewesen sein. März,
April, würde ich sagen.«
    In dem
Punkt hatte sie also die Wahrheit gesagt. Meine Mutter war ein gutes Jahr fort
gewesen - und nach Hause gekommen ein halbes Jahr, bevor Juniper Blythe die
große Enttäuschung erlebte, von der sie sich nie wieder erholte, bevor Thomas
Cavill sich mit Juniper verlobte und sie dann sitzen ließ. »Hat sie je ...«
    Ich wurde
von Hot Shoe Shuffle übertönt.
Tante Ritas nagelneues Handy in Form eines roten Stiletto-Schuhs vibrierte auf
dem Tresen hin und her.
    Geh nicht ran, flehte ich innerlich, weil ich
nicht wollte, dass irgendetwas unser Gespräch unterbrach, jetzt, wo es endlich
in Gang gekommen war.
    »Das ist
garantiert Sam«, sagte Rita, »die mir nachschnüffelt.«
    Ich
nickte, und wir ließen die letzten beiden Takte verklingen. Danach verlor ich
keine Zeit und kam gleich wieder zur Sache: »Hat Mum jemals von ihrer Zeit in
Milderhurst erzählt? Von den Leuten, bei denen sie gewohnt hat? Von den Schwestern
Blythe?«
    Rita
verdrehte die Augen. »Am Anfang hat sie von nichts anderem geredet. Die ist
uns ganz schön damit auf die Nerven gegangen, das kann ich dir sagen. Sie war
nur glücklich, wenn ein Brief von dort kam. Dann hat sie immer ganz
geheimnisvoll getan, die Briefe hat sie immer erst aufgemacht, wenn sie allein
war.«
    Ich musste
daran denken, wie Rita sie in der Schlange der evakuierten Kinder in Kent
alleingelassen hatte. »Ihr beide habt euch als Kinder nicht besonders
nahgestanden.«
    »Wir waren
Schwestern - das wäre ja nicht normal gewesen, wenn wir uns nicht ab und zu
gestritten hätten, so beengt, wie wir damals in dem kleinen Haus gewohnt haben
... Aber wir haben uns eigentlich ganz gut verstanden. Das heißt, bis zum
Krieg, bis sie diese Leute kennengelernt hat.« Rita nahm die letzte Zigarette
aus dem Päckchen, zündete sie an und blies den Rauch in Richtung Tür. »Sie
hatte sich verändert, als sie zurückkam, und zwar nicht nur in ihrer Art zu
sprechen. Die haben ihr da in dem Schloss alle möglichen Flausen in den Kopf
gesetzt.«
    »Was denn
für Flausen?«, fragte ich, aber ich kannte die Antwort bereits. Etwas
Abwehrendes hatte sich in Ritas Stimme

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