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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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... ?«
    »Er ist im
Krankenhaus, sein Zustand ist stabil, glaube ich. Deine Mutter hat nicht viel
gesagt.«
    »Ich muss
...«
    »Ja, komm.
Ich rufe dir ein Taxi.«
     
    Die ganze
Fahrt über plauderte ich mit dem Fahrer. Ein kleiner Mann mit sehr blauen Augen
und braunem Haar, das zu ergrauen begann, Vater von drei kleinen Kindern. Und
während er mir erzählte, was sie alles anstellten, und mit der gespielten
Verzweiflung, die Eltern kleiner Kinder gern zur Schau stellen, um ihren Stolz
zu überspielen, den Kopf schüttelte, lächelte ich und stellte Fragen, und meine
Stimme klang ganz normal, ja sogar unbeschwert. Wir erreichten das Krankenhaus,
und erst nachdem ich ihm einen Zehnpfundschein in die Hand gedrückt und ihm
gesagt hatte, er solle das Wechselgeld behalten, und ihm
viel Spaß bei der Ballettaufführung seiner Tochter gewünscht hatte, bemerkte
ich, dass es angefangen hatte zu regnen und ich ohne Regenschirm vor dem Hammersmith-Krankenhaus stand, in dem mein Vater irgendwo mit Versehrtem Herzen lag.
     
    Meine
Mutter wirkte kleiner als sonst, wie sie dort allein am Ende einer Reihe von
Plastikstühlen saß, hinter ihr eine trostlose blaue Krankenhauswand. Meine
Mutter ist immer sorgfältig zurechtgemacht, und ihre Kleidung scheint aus
einer anderen Zeit zu stammen: Hüte mit dazu passenden Handschuhen, bequeme
Pumps, die sie in Seidenpapier gewickelt in den Originalkartons aufbewahrt, ein
ganzes Regal mit dicht gedrängt aufgereihten Handtaschen, die auf ihren Einsatz
warten, um das Ensemble zu komplettieren. Sie würde nicht im Traum daran
denken, ohne Puder und Lippenstift das Haus zu verlassen, auch dann nicht, wenn
mein Vater schon im Krankenwagen vorausgefahren ist. Ich muss wirklich eine
schreckliche Enttäuschung für meine Mutter sein, zu groß gewachsen, die Haare
zu wuschelig, auf den Lippen irgendeinen Gloss, den ich aus dem Sammelsurium
aus Münzen, verstaubten Pfefferminzdrops und sonstigem Kram fische, der sich
in den Tiefen meiner abgenutzten Handtasche ansammelt.
    »Mum.« Ich
ging zu ihr, küsste sie auf die von der Klimaanlage gekühlte Wange und setzte
mich neben sie. »Wie geht es ihm?«
    Sie
schüttelte den Kopf, und ich befürchtete schon das Schlimmste. »Sie haben mir
noch nichts gesagt. Sie haben ihn an alle möglichen Geräte angeschlossen, und
die Ärzte kommen und gehen.« Sie schloss kurz die Augen, schüttelte immer noch
leicht den Kopf, eine Angewohnheit. »Ich weiß es nicht.«
    Ich
schluckte schwer und sagte mir, dass es besser war, nichts zu wissen, als das
Schlimmste zu erfahren, war jedoch geistesgegenwärtig genug, diese Plattitüde
für mich zu behalten. Ich hätte gern etwas Originelles, etwas Beruhigendes
gesagt, etwas, das ihr die Angst nahm, ihr die Situation erleichterte, aber
meine Mutter und ich hatten keine Erfahrung damit, gemeinsam zu leiden und
einander zu trösten, und so sagte ich nichts.
    Sie
öffnete die Augen, schaute mich an und schob mir eine Locke hinters Ohr.
Vielleicht spielte es ja auch keine Rolle, vielleicht wusste sie, was ich
dachte und dass ich es ernst meinte. Dass keine Worte nötig waren, weil wir
doch Mutter und Tochter waren und manche Dinge nicht ausgesprochen werden
müssen ...
    »Du siehst
schlecht aus«, sagte sie.
    Ich warf
einen verstohlenen Blick zur Seite und sah mein verschwommenes Spiegelbild in
einem gerahmten Poster des National Health Service. »Es regnet.«
    »So eine
große Tasche«, sagte sie mit einem wehmütigen Lächeln. »Und kein Platz für
einen Schirm.«
    Ich
schüttelte den Kopf, dann begann ich zu zittern, und plötzlich merkte ich, dass
es kalt war.
     
    In einem
Wartezimmer im Krankenhaus muss man sich beschäftigen, sonst wartet man nur,
und das führt zum Nachdenken, was nach meiner Erfahrung keine gute Idee ist.
Während ich still neben meiner Mutter saß, mich um meinen Vater sorgte, mir
vornahm, mir einen Schirm zuzulegen, auf das Ticken der Wanduhr lauschte, kamen
jede Menge Gedanken über die Wände gekrochen und berührten meine Schultern mit
ihren spitzen Fingern. Ehe ich wusste, wie mir geschah, hatten sie mich bei der
Hand genommen und führten mich an Orte, an denen ich seit Jahren nicht gewesen
war.
    Ich stand
an der Wand in unserem Badezimmer und sah mich als Vierjährige auf dem
Badewannenrand balancieren. Das kleine, nackte Mädchen will mit den Zigeunern
durchbrennen. Es weiß nicht genau, wer sie eigentlich sind oder wo es sie
finden kann, aber es weiß, dass sie ihre beste Chance sind,

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