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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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Nähe von Elephant and Castle.« Theatralisch wedelte sie sich
Luft zu. »O, lá, lá. Gut sah der aus. Und sein Bruder auch. Wie Filmstars. So
athletische, schweigsame Typen. Seine Familie wohnte ein paar Straßen weiter,
und selbst deine Großmutter hat immer einen Grund gefunden, aus dem Fenster zu
schauen, wenn er vorbeiging. Alle jungen Mädchen waren in ihn verknallt,
einschließlich deiner Mutter. Und eines Tages«, fügte sie schulterzuckend
hinzu, »hab ich sie halt zusammen gesehen.«
    Mir traten
die Augen aus dem Kopf. »Was?«, stotterte ich. »Wo? Wie?«
    »Ich bin
ihr nachgegangen.« Sie fühlte sich so sehr im Recht, dass kein Platz war für
Verlegenheit oder ein schlechtes Gewissen. »Sie war meine kleine Schwester,
sie benahm sich nicht normal, und das waren gefährliche Zeiten. Ich wollte mich
nur vergewissern, dass alles in Ordnung war.«
    Es war mir
vollkommen egal, warum sie meiner
Mutter gefolgt war; ich wollte nur wissen, was sie gesehen hatte. »Wo hast du
die beiden gesehen? Und was haben sie gemacht?«
    »Ich hab
sie nur von Weitem gesehen, aber das hat gereicht. Sie saßen auf dem Rasen im
Park, nebeneinander, ganz eng. Er redete, und sie hörte ihm zu - richtig
aufmerksam, wohlgemerkt -, dann hat sie ihm was gegeben, und er ...« Rita
schüttelte das leere Zigarettenpäckchen. »Verdammte Kippen. Ich schwöre dir,
die rauchen sich selbst.«
    »Rita!«
    Ein kurzer
Seufzer. »Dann haben sie sich geküsst. Merry und Mr. Cavill, mitten im Park, wo
sie jeder sehen konnte.«
    Welten
kollidierten, Feuerwerke explodierten, Sternchen flogen durch die dunklen
Ecken meines Verstandes. »Mr. Cavill?«
    »Ganz
genau, Edie, Schätzchen: der Lehrer deiner Mutter, Tommy Cavill.«
    Mir
fehlten die Worte, jedenfalls solche, die einen Sinn ergeben hätten. Ich muss
ein Geräusch von mir gegeben haben, denn Rita hielt sich eine Hand ans Ohr und
sagte: »Wie bitte?«, aber ich konnte es nicht wiederholen. Meine Mutter, ein
Teenager, hatte sich von zu Hause fortgeschlichen, um sich heimlich mit ihrem
Lehrer, dem Verlobten von Juniper Blythe, einem Mann, in den sie verknallt war,
zu treffen. Dabei hatte sie ihm etwas gegeben, und vor allem, sie hatte ihn
geküsst. Und all das hatte sich in den Monaten abgespielt, bevor Thomas Cavill
Juniper sitzen gelassen hatte.
    »Du bist
ja ganz blass um die Nase, Liebes. Möchtest du noch ein Glas Limo?«
    Ich
nickte. Sie füllte mein Glas. Ich trank.
    »Weißt du,
wenn dich das alles so sehr interessiert, solltest du die Briefe lesen, die
deine Mutter aus dem Schloss geschickt hat.«
    »Welche
Briefe?«
    »Die, die
sie nach Hause geschrieben hat.« »Das würde sie niemals zulassen.«
    Rita
betrachtete einen Farbklecks auf ihrem Handgelenk. »Sie braucht's ja nicht zu
erfahren.« Meine Augen weiteten sich.
    »Sie waren
zwischen den Sachen deiner Großmutter.« Rita schaute mir in die Augen. »Das
ganze Zeug ist nach ihrem Tod bei mir gelandet. Sie hat die Briefe all die
Jahre aufgehoben, sentimental, wie sie war, egal, wie sehr sie sie verletzt haben.
Sie war abergläubisch, dachte, man darf Briefe nicht wegwerfen. Ich such sie
für dich raus, wenn du willst.«
    »Ich ...
ich weiß nicht, ich weiß nicht, ob ich ...«
    »Es sind
Briefe«, sagte Rita mit einem so durchtriebenen Grinsen, dass ich mir ganz dämlich
vorkam. »Die sind dafür da, gelesen zu werden, oder?«
    Ich nickte
zögernd.
      »Vielleicht helfen sie dir ja zu verstehen, was deiner
Mutter da oben in ihrem Schloss durch den Kopf gegangen ist.«
    Der
Gedanke, die Briefe meiner Mutter ohne ihr Wissen zu lesen, weckte mein
schlechtes Gewissen, doch ich brachte es zum Schweigen. Rita hatte recht: Meine
Mutter mochte die Briefe geschrieben haben, aber sie waren an ihre Familie in
London gerichtet. Es war Ritas gutes Recht, sie mir zu geben, und es war mein
gutes Recht, sie zu lesen.
    »Ja«,
krächzte ich. »Gib sie mir.«
     
    Ein Gespräch
im Wartezimmer
     
     U nd weil
das Leben manchmal so spielt, erlitt mein Vater, während ich die Geheimnisse
meiner Mutter zusammen mit der Schwester enträtselte, vor der sie sie am dringendsten
verbergen wollte, einen Herzinfarkt. Herbert erwartete mich mit der Nachricht,
als ich nach Hause kam. Er nahm meine Hände und berichtete mir, was passiert
war.
    »Es tut
mir so schrecklich leid«, sagte er, »ich hätte dir eher Bescheid gesagt, aber
ich wusste nicht, wo du bist.«
    »O Gott
...« Panik überkam mich. Ich drehte mich zur Tür um, dann wieder zu Herbert.
»Ist er

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