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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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Wangen begannen zu
glühen. Vor lauter Verlegenheit achtete ich gar nicht auf die Reaktion meiner
Mutter, sondern fügte, ehe sie dazu kam, etwas zu antworten, hastig hinzu: »Wie
alt warst du damals?«
    »Fünfundzwanzig.
Es war 1952, und ich
war gerade fünfundzwanzig geworden.«
    Ich nickte
und tat so, als würde ich im Kopf nachrechnen, aber in Wirklichkeit lauschte
ich der leisen Stimme, die flüsterte: Wäre das nicht
eine gute Gelegenheit, wo wir schon mal beim Thema sind, nach Thomas Cavill zu
fragen? Eine hinterhältige Stimme, und ich sollte mich schämen,
ihr überhaupt Gehör zu schenken. Ich bin nicht stolz darauf, aber die
Gelegenheit war einfach zu günstig. Ich redete mir ein, ich wollte meine Mutter
nur von den Sorgen um meinen Vater ablenken, und bemerkte: »Fünfundzwanzig. Das
ist aber ziemlich spät für den ersten Freund, oder?«
    »Eigentlich
nicht«, sagte sie. »Das waren andere Zeiten damals. Ich war mit anderen Dingen
beschäftigt.« »Aber dann hast du Dad kennengelernt.« »Ja.«
    »Und hast
dich verliebt.«
    Sie
antwortete so leise, dass ich das Wort fast von ihren Lippen ablesen musste.
»Ja.«
    »War er
deine erste große Liebe, Mum?«
    Sie
schnappte nach Luft und sah mich an, als hätte ich sie geohrfeigt. »Edie -
nicht!«
    Aha. Tante
Rita hatte recht gehabt. Er war nicht ihre erste große Liebe gewesen.
    »Sprich
nicht von ihm in der Vergangenheit.« Tränen traten ihr in die Augen. Und ich
fühlte mich so mies, als hätte ich sie tatsächlich geohrfeigt, erst recht, als
sie begann, an meiner Schulter zu weinen, das heißt, die Tränen rannen einfach
so herab, denn meine Mutter weint nicht. Und obwohl die Plastikkante der
Stuhllehne sich in meinen Arm bohrte, rührte ich mich nicht.
     
    Von draußen
waren wie aus der Ferne die stetigen Verkehrsgeräusche zu hören, hin und
wieder übertönt von Sirenengeheul. Krankenhausmauern sind etwas Merkwürdiges.
Obwohl sie auch nur aus Ziegelsteinen und Mörtel bestehen, rücken, wenn man
sich innerhalb dieser Mauern befindet, der Lärm und die Wirklichkeit der von
Menschen wimmelnden Stadt in weite Ferne.
Die Realität befindet sich direkt vor der Tür, aber es ist, als handelte es
sich um ein weit, weit entferntes Zauberland. Wie im Schloss Milderhurst,
dachte ich. Dort hatte ich mich genauso gefühlt, als hätte mich das Haus
regelrecht verschluckt, nachdem ich durch die Tür getreten war, als hätte die
äußere Welt sich in Sandkörner aufgelöst. Ich fragte mich flüchtig, was die
Schwestern Blythe wohl gerade taten, wie sie in den Wochen seit meinem Besuch
ihre Tage verbracht hatten, die drei allein in diesem riesigen Haus. Wie eine
Serie von Schnappschüssen tauchten die Bilder vor meinem geistigen Auge auf:
Juniper, die in ihrem verschlissenen Seidenkleid durch die Flure huschte,
Saffy, die wie aus dem Nichts erschien und sie sanft in den Salon führte,
Percy, die am Dachzimmerfenster stand und ihr Anwesen betrachtete wie ein
Schiffskapitän auf Wache ...
    Es war
schon nach Mitternacht, die Krankenschwestern hatten Schichtwechsel, neue
Gesichter tauchten auf, verrichteten lachend und schwatzend ihre Arbeit auf der
hell erleuchteten Station: ein unwiderstehlicher Ort der Normalität, eine Insel
in einem unüberwindlichen Ozean. Ich versuchte, ein bisschen zu schlafen, benutzte
meine Handtasche als Kopfkissen, aber es war zwecklos. Meine Mutter neben mir
war so klein und allein und irgendwie gealtert, seit ich sie das letzte Mal
gesehen hatte, und ich konnte meine Gedanken nicht davon abhalten, vorauszueilen
und detailreiche Szenen von ihrem Leben ohne meinen Vater zu malen. Ich sah
alles ganz deutlich vor mir: seinen leeren Sessel, die wortlosen Mahlzeiten,
das Fehlen seines unermüdlichen Hämmerns und Bohrens. Wie einsam das Haus sein
würde, wie still und voller Echos.
    Nur wir
beide würden noch da sein, wenn wir meinen Vater verlören. Zwei ist sehr wenig,
da bleiben keine Reserven. Es ist eine stille Anzahl, die saubere, einfache
Gespräche garantiert, in die niemand sich einmischt, weil es einfach nicht
möglich ist. Und außerdem unnötig. War das unsere Zukunft?, fragte ich mich.
Mutter und Tochter, die Sätze austauschten, ihre Meinungen für sich behielten,
höfliche Geräusche machten, Halbwahrheiten aussprachen und sich bemühten, den
schönen Schein zu wahren? Die Vorstellung war unerträglich, und ich fühlte mich
plötzlich sehr, sehr allein.
    Vor allem,
wenn ich mich sehr einsam fühle, fehlt mir mein Bruder. Er

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