Morton Rhu - Leben und Werk
Weise auch den ursprünglich relativen Optimismus des Bielefelder Soziologen Klaus Hurrelmann, der in seinem Nachwort zur Erstausgabe von Rhues Roman (die dem Erfurter Amoklauf nur wenige Monate vorausging) die Situation in den USA mit der in Deutschland verglich: »… die Wege aber, die sich die aufgestaute Aggressivität sucht, sind bei uns anders, weil die leicht verfügbare Vollstreckungswaffe fehlt.« Nein, die Waffe fehlt leider auch hierzulande nicht.
Nach Erfurt relativierte Hurrelmann seine Aussage und schrieb unter anderem: »Morton Rhue hat seinen Roman auf eine Facette abgestellt, die für die amerikanische Lebenssituation besonders typisch ist: Die absolut leichte Verfügbarkeit von Schusswaffen in Familie und Nachbarschaft. Nur aus der amerikanischen Geschichte erklärbar, gehören Schusswaffen gewissermaßen zum individuellen Menschenrecht auf Selbstverteidigung eines jeden Amerikaners. Das ist in Deutschland nicht so. Der Fall des Schülers Robert aus Erfurt zeigt uns aber, wie leicht es auch für einen Jugendlichen in Deutschland ist, sich auf legalem Wege Schusswaffen zu besorgen. Deswegen sollten wir jetzt auch in Deutschland viel sorgfältiger die Diskussion der Bürgerbewegungen in den USA verfolgen, die auf die Gefahren der millionenfachen Verbreitung von Schusswaffen in der Bevölkerung hinweisen.«
»Ich knall euch ab!« erschien von Anfang an nicht als Hardcover, sondern als Taschenbuch. »Wir haben auf das Hardcover verzichtet, damit das Buch für möglichst viele Leser erschwinglich ist«, sagt die Presseleiterin des Verlags. Eine kluge Entscheidung, denn dieses Buch ist in vielerlei Hinsicht hilfreich, um Verständnis zu ermöglichen und Gefahren zu verringern. Die Geschichte ist ausgedacht, basiert jedoch auf verschiedenen Ereignissen, die sich tatsächlich an amerikanischen Schulen zugetragen haben.
Wenn wir nichts daran ändern, wie wir andere innerhalb und außerhalb der Schule behandeln, wird es nur noch mehr – und schrecklichere – Tragödien geben, meint Morton Rhues fiktive Herausgeberin Denise Shipley, Journalistik-Studentin und Stiefschwester von Gary, dem tragischen Protagonisten, mit dessen Abschiedsbrief der Roman beginnt. Gary schreibt: Ich hätte mich auch ganz still aus dem Staub machen können, aber das wäre ja noch sinnloser gewesen. Wenn ich so gehe und bei meinem Abgang die Leute mitnehme, die mir das Leben zur Hölle gemacht haben, dann kommt vielleicht eine Botschaft rüber. Vielleicht ändert sich dann etwas, und irgendwo wird irgendein anderer Junge, der so unglücklich ist wie ich, besser behandelt und findet vielleicht einen Grund weiterzuleben.
Die Geschichte der beiden Außenseiter Gary und Brendan, die in ihrer Schule gemobbt werden, wird von vielen Stimmen, von Freunden, Mitschülern, Eltern und Verwandten, Lehrern und Nachbarn erzählt. Ergänzt werden die O-Ton-Beiträge durch Briefe, E-Mails, Chat-Mitschnitte, Tagebuchaufzeichnungen und Zeitungsartikel. Somit versinnbildlicht die Form des Romans dessen Inhalt: Das erzählerische Netz aus Einzelperspektiven ist genauso wenig linear oder eindeutig konsequent wie die vielfältigen Ursachen einer solchen Gewalttat. Die Geschichte handelt von Leid, Angst und Reue. Vor allem aber soll sie als Warnung dienen. Gewalt hat viele Gesichter, schreibt Denise Shipley in ihrem Vorwort, das Bestandteil des Romans ist und den Gedanken des Autorenvorworts folgt.
Der sensible Gary, der die Scheidung seiner Eltern nicht überwunden hat, und der vorlaute Video-Ballerspiele-Freak Brendan, werden von den Football-Stars der Schule schikaniert und gedemütigt. Die Lehrer greifen nicht ein, sondern überlassen die Schüler dem Gesetz des Stärkeren. Gary und Brendan sehen keinen anderen Ausweg als Gegengewalt und hecken nach dem Vorbild des Amoklaufs zweier Schüler an der Columbine Highschool in Littleton, Colorado, im Jahr 1999 (damals wurden zwölf Schüler und ein Lehrer getötet) einen mörderischen Plan aus. Am Tag des Abschlussballs nehmen sie schwer bewaffnet viele ihrer Mitschüler und Lehrer in einer Turnhalle als Geiseln. Doch der Plan gerät außer Kontrolle: Gary erschießt sich selbst und Brendan liegt am Ende des Romans mit unheilbarem Hirnschaden im Koma.
»Die Klassendeppen machen später tolle Sachen«
»Ich knall euch ab!« ist zugleich spannende und beängstigende Faction. Aus vielen Mosaiksteinchen ergeben sich die Psychogramme zweier verzweifelter Schüler. Da heutzutage oft beide Elternteile
Weitere Kostenlose Bücher