Mosaik
nicht abwarten. »Ist es weit bis zum anderen See?« Unbehagen erklang in Marys Stimme. Die
Vorstellung, sich noch weiter von der Kolonie zu entfernen, schien sie zu beunruhigen.
»Nein. Er befindet sich hinter der nächsten Anhöhe.«
»Wir sind ziemlich weit weg. Was ist, wenn etwas passiert?«
»Zum Beispiel?«
»Ein Unfall.«
Kathryn schüttelte verächtlich den Kopf. »Wir sind zu dritt.
Einer von uns kann jederzeit zurückkehren und Hilfe holen.«
Die beiden anderen Mädchen wechselten einen Blick, der ihre Besorgnis widerspiegelte. Kathryn wurde allmählich wütend.
»Wollt ihr zurück? Meinetwegen. Dann schwimme ich eben allein.«
»Das ist gefährlich, Kathryn. Man sollte nie allein schwimmen.«
»Es ist mir lieber, als Zeit mit Leuten zu verbringen, die mit Jammermiene herumlaufen und darauf warten, daß irgend etwas Schlimmes passiert.« Sie stand ganz still, richtete einen durchdringenden Blick auf Mary und Emma. Erwartungsgemäß konnten sie diesem Blick nicht standhalten, wichen ihm aus und beobachteten die marsianische Landschaft.
»Nun?« drängte Kathryn. Mary fand als erste den Mut, sie anzusehen.
»Wir haben dir versprochen mitzukommen, und dabei bleibt es.
Laß uns deswegen nicht streiten.«
Kathryn nickte, setzte den Weg fort und hörte, wie ihr Mary und Emma folgten. Sie seufzte leise. Die beiden Mädchen erschienen ihr so jung – obwohl sie alle im gleichen Alter waren.
Sie kletterten nun über einen Hang mit großen Felsblöcken und Vorsprüngen. Immer wieder schoben sie sich durch schmale Passagen, die wie die gewundenen Gänge eines Labyrinths anmuteten. Nach einer Weile gelangten sie zu der Kuppe der Anhöhe. Unmittelbar dahinter ging es steil in die Tiefe.
Als sie sich dem Rand näherten, blieben Emma und Mary
zurück, wagten sich nur noch ganz langsam vor. Kathryn sank auf alle viere und kroch vorsichtig zur Kante des Felsplateaus.
Vor ihr erstreckte sich der alte Steinbruch: hohe Hänge, an denen Ultraschallbohrer unübersehbare Spuren hinterlassen hatten. Fünfzig Meter weit führten sie in die Tiefe, bis zur Oberfläche eines Sees, der etwa fünfhundert Meter durchmessen mochte. Er bot einen eigenartigen und geheimnisvollen Anblick.
Kathryn spürte, wie eine Mischung aus Furcht und Aufregung in ihr prickelte.
»Wie sollen wir nach unten gelangen?« hauchte Emma.
Kathryn wandte sich ihr zu. »Warum flüsterst du?«
Emma sah sie aus großen Augen an und wirkte sehr blaß. »Ich weiß nicht. Hier kommt es mir irgendwie… gespenstisch vor.«
»Es ist ein sonderbarer und schöner Ort, eine Art Wildnis. Mir gefällt’s.« Während Kathryn sprach, glitt ihr Blick über die Felswände und suchte nach einem geeigneten Weg.
Die Hänge waren nicht etwa glatt, sondern zerklüftet. Ein Kletterer fand dort überall Halt – sie konnten den See erreichen.
»Wir klettern. Bei solchen Felswänden dürfte das überhaupt kein Problem sein.«
»Kommt nicht in Frage.« Mary stand auf, und ihr Gesicht zeigte Entschlossenheit. »Dadurch fordert man Unheil geradezu heraus.«
Kathryn wollte antworten, doch plötzlich hörten sie alle das unmißverständliche Geräusch von Schritten – jemand näherte sich ihnen durch das Labyrinth aus Felsblöcken, das sie gerade durchquert hatten. Mary sank wieder auf die Knie, und
schuldbewußt versuchten die drei, sich hinter einem Vorsprung zu verbergen. Kam jetzt einer ihrer Väter? Hatte jemand beobachtet, wie sie die Kolonie verließen und über die Tharsis-Ebene wanderten?
Das Knirschen der Schritte wurde lauter. Es konnte nur noch wenige Sekunden dauern, bis der Unbekannte den Bereich der Felsblöcke verließ. Kathryn hielt den Atem an. Sie zweifelte kaum daran, daß sie gleich ihrem Vater begegnete, und bestimmt war er wütend darüber, daß sie sich über ein ausdrückliches Verbot hinweggesetzt hatte.
Eine Gestalt erreichte das Plateau, war zunächst aber nicht zu identifizieren, weil das Licht der weiter hinten strahlenden Sonne zu sehr blendete. Sie war groß und schlank – ein Mann.
In Kathryns Magengrube krampfte sich etwas zusammen, als sie ihre Befürchtungen bestätigt glaubte. Es ist mein Vater!
»Hallo, werte Damen. Ein kleiner Badeausflug?«
Die Stimme klang vertraut, gehörte aber nicht ihrem Vater.
Kathryn stand auf. Die Gestalt trat näher, und schließlich konnte sie ihr Gesicht sehen.
Hobbes Johnson.
Erleichterung und Kummer rangen in Kathryn um die
Vorherrschaft. Natürlich war sie sehr froh darüber, daß
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