Moser Und Der Tote Vom Tunnel
ob sie etwas über Anton Tschulnigg in Erfahrung gebracht hätten. Irgendwie waren die Ermittlungen im Mordfall am Münchweiler Tunnel festgefahren. Auch von Sehnert aus Pirmasens hatte er seit Wochen nichts mehr gehört.
Anfang Juni erhielt der Kriminalrat endlich ein Schreiben der österreichischen Polizei. Man hatte ausfindig gemacht, dass die gesuchte Person, die tatsächlich Anton Tschulnigg hieß, eigentlich aus dem Pongau stammte. Er war Sohn eines Zollbeamten, wobei der Vater mehrfach versetzt worden war. Deshalb kam Anton Tschulnigg viel herum. Der Vater hatte sich nach seiner Pensionierung in Untersiebenbrunn unweit von Wien zur Ruhe gesetzt und starb vor etwa zehn Jahren. Der Sohn verkaufte das dortige Haus, um seine Spielschulden in Wien zu begleichen. Tschulnigg war längere Zeit im österreichischen Heer, wurde jedoch unehrenhaft entlassen. Offenbar hatte er Kontakte zu einigen Freiheitskämpfern und galt deshalb als nicht loyal. Seit etwa zwei Jahren war er untergetaucht, sollte aber mehrfach in Niederösterreich gesehen worden sein. Wahrscheinlich war er in Waffengeschäfte verwickelt.
Moser vermutete schon länger, dass der Waffenfund sowie der nun identifizierte Fremde in Zusammenhang standen. Sein Instinkt sagte ihm, Tschulnigg habe die gefundenen Einzelteile des Châtellerault-Gewehrs im Eisenbahnerlager am Münchweiler Tunnel abholen und außer Landes schaffen wollen. Wahrscheinlich strich er deshalb mehrfach um die Baracke der ungarischen Arbeiter, um einen Hinweis auf den Verbleib des Gewehrs zu finden. Er konnte ja nicht wissen, dass die Polizei es längst entdeckt und sichergestellt hatte. Allem Anschein nach wollte Koloman die Waffe an Tschulnigg verkaufen; möglicherweise hatte er die Teile sogar extra für diesen ›organisiert‹. Vielleicht war es zwischen den beiden Männern zum Streit wegen der Bezahlung gekommen und Tschulnigg brachte Koloman deshalb um. Oder aber beide arbeiteten zusammen. Dagegen sprach allerdings, dass Tschulnigg offenbar nichts vom Aufbewahrungsort der Waffe in der Werkzeugkiste wusste. Möglicherweise wollte Koloman seinen Komplizen hintergehen … Fragen über Fragen, die Moser durch den Kopf gingen. Er dachte immer wieder, er müsse etwas Entscheidendes übersehen haben.
Dem Kriminalrat fiel wieder das merkwürdige Stück Papier ein, das Sehnert und er in den Sachen des Toten entdeckten. Es handelte sich eindeutig um den Fetzen eines Flugblattes von ungarischen Freischärlern. Aber was hatte es mit dem Hinweis auf dieses Gasthaus auf sich? Und wie hieß der Ortsname, von dem Moser nur eine Abkürzung kannte?
Er beschloss, seine Kollegen in Wien telegrafisch von diesem Zettel zu unterrichten, und fragte, ob sie mit der Abkürzung einen Ortsnamen verbinden könnten.
Die Wiener Polizei konnte tatsächlich etwas mit der Abkürzung ›St. a.d.M.‹ anfangen. Es war die bei der Eisenbahn gebräuchliche Abkürzung für die Station ›Steilfurt an der March‹, etwa fünfzig Kilometer östlich von Wien, wie man Moser in einem Telegramm mitteilte.
Als der Kriminalrat dieses erhalten hatte, rief er nach Hopfstangl, dem Sekretär.
»Hopfstangl, finden Sie bitte sofort heraus, wo dieses Steilfreud – nein, Steilfurt – genau liegt und sammeln Sie alles, was Sie über diesen Ort in Erfahrung bringen können. Außerdem besorgen Sie mir eine Fahrkarte dorthin.«
Moser beschloss spontan, die Genehmigung für eine Dienstreise nach Steilfurt zu beantragen. Vielleicht ließ sich dort der Schlüssel zum Mordfall am Münchweiler Tunnel finden.
Steilfurt an der March
Nachmittags kam Hopfstangl mit mehreren handschriftlichen Zetteln zu Moser. »Herr Kriminalrat«, begann er über die Ergebnisse seiner Recherchen zu berichten, »dieses Steilfurt befindet sich in der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf in der früheren Ungarnmark am Rand der Pannonischen Tiefebene, etwa dreißig Kilometer westlich der Kleinen Karpaten an einem Fluss mit Namen Morava, zu deutsch: March. Dieser Fluss bildet die Grenze vom österreichischen Kernland zur Slowakei, die bekanntlich heute zu Ungarn gehört. Der Ort liegt an der Franz-Josephs-Nordbahn, ist aber offensichtlich sehr klein. Wohl nur ein paar Häuser, eine Kirche und einige Weinberge. Sozusagen das Ende der Welt. Ach ja, außerdem habe ich Hinweise auf eine größere Ziegelei gefunden. Aber was Ihr Billett betrifft, so habe ich keine positive Nachrichten …«
»Wie?«, fiel ihm Moser ins Wort, »Sie sagten doch,
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