Moser Und Der Tote Vom Tunnel
noch am Anfang unserer Ermittlungen in diesem Mordfall«, erklärte Moser seinem Vorgesetzten, »aber bei dem Waffenschmuggel habe ich eine Theorie. Werde jedoch vorerst noch nicht darüber sprechen, weil ich erst einige Recherchen vornehmen muss …«
Der Kriminalrat verabschiedete sich und ging zu seiner Wohnung in der Amalienstraße. Endlich konnte er wieder das geschäftige Treiben in der ihm vertrauten Großstadt genießen.
Die Besprechung im Ministerium am darauffolgenden Montag erbrachte nichts Neues. Auch Pfister war klar, dass sie bisher keinerlei konkrete Ergebnisse vorweisen konnten, und er beschloss, Seiner Majestät Prinzregent Luitpold vorerst nichts über die Sache zu berichten.
Pfister war die politische Dimension, die dieser Fall annehmen könnte, durchaus bewusst. Seit dem tödlichen Attentat auf Zar Alexander II. von Russland vor sieben Jahren, das mit aus dem Ausland eingeführtem Dynamit verübt worden war, gab es die Anweisung, sämtliche Fälle von Waffen- und Sprengstoffschmuggel sehr ernst zu nehmen. Auch die Attentate auf den preußischen König und späteren Kaiser Wilhelm in der Lichtentaler Allee in Baden-Baden und in Berlin waren noch nicht vergessen. Aber er hoffte immer noch, dass es für den Waffenfund eine andere Erklärung gab.
Das ganze Wochenende hatte Moser überlegt, ob Koloman – oder wie immer er hieß – ein Waffenschmuggler oder Hehler war. Vielleicht standen die Gründe für sein gewaltsames Ableben mit diesem Umstand im Zusammenhang. Wenn seine Vermutung stimmte, sollte die aufgefundene Waffe außer Landes geschafft werden. Dazu hätte er mindestens einen Komplizen gebraucht.
An den folgenden Tagen wandte sich Moser wieder den weiteren Fällen auf seinem Schreibtisch zu. Am Freitag erreichte ihn ein Telegramm von Sehnert aus Pirmasens, aus dem hervorging, dass ein Brief mit neuen Ermittlungsergebnissen unterwegs war. Er konnte die Ankunft dieses Briefes kaum abwarten. Erst am darauffolgenden Mittwoch hatte er ihn endlich in Händen. Moser beschimpfte den Büroboten: »Sagen Sie mal, ist neuerdings ein Eilbrief von Pirmasens hierher in die Maximilianstraße in München fast eine Woche unterwegs? Sicher lag der Umschlag doch wieder zwei Tage drunten in der Poststelle …«
»Nein, Herr Kriminalrat«, verteidigte sich der Bürobote, »der Brief wurde erst am Samstag aufgegeben. Sehen Sie, hier, der Poststempel …«
Moser öffnete den Umschlag und las, dass Sehnert sein Schreiben bereits versandfertig hatte, als sich weitere neue Aspekte bei der wöchentlichen Lohnauszahlung an die Gleisbauarbeiter im Lager am Tunnel ergaben. Deshalb konnte der Brief tatsächlich erst am Samstag abgeschickt werden, wofür Sehnert sich entschuldigte.
Im nächsten Moment klopfte Hopfstangl, der Sekretär, an die Tür. »Jetzt nicht!«, schrie Moser.
»Entschuldigung, Herr Kriminalrat. Draußen steht ein Inspektor aus Pirmasens, der Sie unbedingt sprechen will«, meldete Hopfstangl.
»Wie? Aus Pirmasens? …Ich lasse bitten!« Sehnert trat ein und begrüßte Moser, der sichtlich überrascht war.
»Sie … Sehnert, wie kommen Sie denn hierher? Ich halte eben Ihren Brief in den Händen …«, stutzte Moser.
»Herr Kriminalrat, ich verstehe Ihre Verwunderung. Ich dachte jedoch, dass ich Ihnen unsere Ergebnisse besser persönlich mitteile. Der Inhalt des Briefes ist in gewisser Weise bereits überholt. Habe gleich den Nachtzug genommen, um noch heute bei Ihnen zu sein«, erklärte Sehnert.
»So, so, überholt … Dann schießen Sie mal los, Sehnert!«
Der Inspektor setzte sich auf einen Stuhl vor Mosers Schreibtisch und begann die neuen Ergebnisse zu schildern: »Am letzten Mittwoch war der Schnee endlich vollständig abgetaut. Es wurde ein Suchtrupp zusammengestellt, der das Gelände um den kleinen Felsüberhang, wo die Leiche gefunden worden war, noch einmal weiträumig absuchte. Etwa zweihundert Meter vom Fundort des Toten entfernt, entdeckte man abseits des Weges von der Rotsuhl zur Walmersbach ein flüchtig mit Moos bedecktes Messer. Offenbar wurde es erst durch den abtauenden Schnee freigelegt. Das Messer stammt anscheinend aus der Kantine des Eisenbahnerlagers, erkennbar an dem Monogramm ›PLB‹ – also Pfälzische-Ludwigs-Bahn – am Holzgriff. Medizinalrat Dr. Bittig identifizierte das Messer als Tatwaffe. Jung, der Koch aus dem Lager, gab zu, dass es in seinen Beständen solche Messer gibt. Da viele Küchenutensilien in den Arbeiterlagern in der Vergangenheit
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