Moser Und Der Tote Vom Tunnel
wird der Wein gekeltert und in die Fässer im unmittelbar anschließenden Keller abgefüllt.«
»Das ist ja interessant! Sicher dauert es Jahre, bis ein solcher Stollen fertig ist. Außerdem muss man bergmännische Erfahrung haben.«
»Kellergraben ist eine typische Winterarbeit in unserer Gegend, wissen S’. Man könnte denken, dass das Graben ewig dauert. Aber das stimmt nicht. Unser Herrgott hat uns den Löss gegeben. Viele sagen, er soll direkt aus China hierher geweht sein. Aber das glaub ich nicht. Also, unser Lössboden lässt sich wie Sand abbauen, bleibt aber wie Fels stehen. Man braucht die Stollen gar nicht zu verbölzen, der Löss bleibt von allein stabil. Eingestürzt sind die Keller nur selten. Dort unten ist es immer gleichbleibend kühl, ideal für Wein. Und wenn der Keller zu klein wird, kann man einfach weitergraben. Viele Keller sollen bis unter die Kirche führen …«
»Sind denn diese Keller untereinander verbunden?«, fragte Moser weiter.
»Einige bestimmt. Ich weiß, dass man hier nebenan in einen Keller einsteigen und am anderen Ende des Dorfes wieder ans Tageslicht kommen kann. Das haben wir als Kinder öfter gemacht, bis der alte Huber ein Gitter eingebaut hat.«
»Na, diese Keller sind ja ein tolles Versteck. Für alles und jedermann, der nicht gesehen werden will. Diese Keller sind doch sicher auch für Schmuggler interessant.«
»Wie meinen Sie denn das?«, rief Frau Kasmüller fast empört.
»Nun, es war so ein Gedanke …«
»Darüber ist mir nichts bekannt. Die Keller dienten meines Wissens aber in den Kriegen als Zuflucht für die Dorfbewohner, das letzte Mal in der Franzosenzeit. Damals gab es ja viel Elend, wie mir meine Großmutter berichtet hat. Man hörte den Kanonendonner von Deutsch-Wagram bis hier, wissen S’, als damals vor etwa achtzig Jahren die Schlacht stattfand. Unsere Gegend wurde immer wieder von Kriegen heimgesucht. Wir sind halt ein Grenzland, drüben auf der anderen Flussseite reden die schon anders …«
»Ja, Frau Kasmüller, es scheint die Region öfter getroffen zu haben als andere. Hoffen wir, dass uns nun friedlichere Zeiten bevorstehen«, sinnierte Moser und trank seinen Kaffee aus.
Nach dem Frühstück zog sich Moser in seine Kammer zurück. Die Sache mit diesem zwielichtigen Wirt beschäftigte ihn immer noch. Allerdings hatte er der Kasmüllerin verschwiegen, dass er über das Schicksal dieses Mannes durchaus etwas wusste. Moser war blitzartig eingefallen, vor einiger Zeit im Circular des Außenministeriums gelesen zu haben, dass man in Stettin eine männliche Leiche aus dem Haff gefischt hatte. Wie die polizeilichen Ermittlungen ergaben, handelte es sich um einen schon lange gesuchten Verbrecher, der zeitweise unter falschem Namen einen Gasthof in Österreich betrieben haben sollte. Dort musste er untertauchen und hatte anscheinend die Branche gewechselt.
Der Mann war offensichtlich einem Verbrechen zum Opfer gefallen, welches im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit im Berliner Rotlichtmilieu stand.
Moser war ziemlich sicher, dass es sich um diesen Tomáš Verpeta handelte. Vielleicht hatte den Mann seine frühere Verstrickung in die Geschäfte der ungarischen Freischärler eingeholt. Des Kriminalisten Instinkt sagte ihm jedoch, die Sache mit diesem Verpeta – oder wie auch immer er hieß – könne wohl kaum etwas mit dem Tod des Ungarn am Münchweiler Tunnel zu tun haben. Schließlich lag der Leichenfund im Stettiner Haff schon einige Zeit zurück, der ungarische Gleisbauarbeiter wurde dagegen erst am 31. Januar dieses Jahres umgebracht. Der Kriminalrat war sich sicher, dass diese merkwürdigen, tiefen Lösskeller ein idealer Unterschlupf für Schmuggler waren. Aber das war eine andere Sache, wegen der er nicht hier war.
Moser hatte immer noch Kopfschmerzen von der Weinverkostung und beschloss, sich wieder hinzulegen. Gegen zehn stand er endgültig auf und verließ das Haus.
Ein ereignisreicher Tag
Den Vormittag verbrachte Moser mit einem Spaziergang durch das fast menschenleere Dorf. Offenbar waren alle in den Weinbergen. Die Hoftore der lang gestreckten, einstöckigen Häuser, die auf den zweiten Blick gar nicht mehr so klein erschienen, waren allesamt geschlossen. Ab und zu bellte ein Hund, als der Kriminalrat durch die wenigen Straßen schritt. Zur Mittagszeit ertönte das Angelusläuten vom Kirchturm. Die Glocke besaß nach Mosers Wahrnehmung einen blechernen Klang, erinnerte ihn aber, dass es Zeit für ein Mittagessen
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