Moser Und Der Tote Vom Tunnel
sein Instinkt sagte ihm, dass er genau hier der Lösung des Falles sicher einen entscheidenden Schritt näher kommen würde. Welche Fakten gab es denn, die ihn in dieses Dorf führten? Ein ungarischer Gleisbauarbeiter wurde auf einer Baustelle der Pfälzischen Eisenbahnen ermordet; er hatte einen Zettel in seinem Besitz, der einen Hinweis auf ein Gasthaus in genau diesem Dorf weit im Osten enthielt.
Noch zur Zeit von Mosers Kindheit war die enorme Entfernung zwischen Münchweiler bei Pirmasens und dem Marchland so groß, dass es so gut wie keine Verbindungen zwischen diesen Regionen geben konnte. Erst mit dem Bau der Eisenbahn wurde die Pfalz von Ungarn aus einfacher erreichbar. Und genau dieses Verkehrsmittel der Zukunft wurde dem Ermordeten offenbar zum Verhängnis.
»Ohne die Eisenbahn wäre er noch am Leben …«, philosophierte Moser, als ihn das morgendliche Läuten der Kirchenglocke jäh aus seinen Gedanken riss. Und dann gab es ja auch noch diesen merkwürdigen Anton Tschulnigg, der ebenfalls in einer Beziehung zu diesem Dorf am Ende der Welt stand.
Kurze Zeit später klopfte die Kasmüllerin an die Tür; sie fragte, ob sie ihrem Gast das Frühstück servieren solle. Moser erwiderte, er komme gleich in die Küche, sobald er sich angezogen habe.
Der Kriminalrat nahm am gedeckten Küchentisch Platz und Frau Kasmüller brachte eine große Kaffeekanne.
»So, ein Kaffeetscherl, Herr Weinkommissär«, sagte sie und stellte die Kanne auf den Tisch. Moser schenkte sich eine dampfende Tasse Kaffee ein. Er wunderte sich über dessen Qualität; so etwas hätte er in diesem Dorf nicht erwartet. »Oh, der schmeckt ausgezeichnet«, bemerkte er.
»Nicht wahr, Herr Weinkommissär. Unser Kaffee hier ist doch wirklich gut«, meinte die Kasmüllerin.
»In der Tat. Wie kommt es denn, dass es hier in dieser … in dieser etwas seltsamen Gegend so guten Kaffee gibt?«
»Ja, das gehört sich hier so. Schon meine Großmutter selig sagte immer: Kaiser Joseph hat uns viel gebracht. Besonders den guten Kaffee. Sie war Dienstmagd in einem der ersten Kaffeehäuser in Wien und hat die Kunst des Kaffeekochens vor dort mitgebracht. Es waren ja schon viele Madeln von hier in Wien in Stellung und haben einiges von der Herrschaft abgeschaut … Hat Ihnen eigentlich unser Wein auch zugesagt? Wie war denn die Weinverkostung?«
Moser wirkte etwas verlegen; er heuchelte, wie überzeugt er vom grünen Veltliner sei. Außerdem schwärmte er vom Welschriesling.
»Ach ja, der Welschriesling. Mein seliger Franz – Gott sei ihm gnädig – hat ihm auch sehr zugesprochen. Viele im Dorf sagen, zu sehr …«
Das weckte Mosers Neugier: »Wie meinen Sie das denn?«
»Ja, ja, der Welschriesling und mein Seliger … Wissen’S, früher war es in der Gegend hier ganz gut. Alle hatten Arbeit und verdienten. Bis zur Depression anno 73. Damals ging es mit den Weinhauern bergab. Die Wiener blieben beim Heurigen aus, keiner wollte mehr unseren Wein.
Alle hatten kein Geld mehr und waren verunsichert; sie hielten lieber zusammen, was sie noch hatten. Mein Franzl verlor seine Stellung in der Ziegelei. Auch mein Bruder verdiente mit seinem Landhandel nichts mehr und konnte den Betrieb nicht halten. Deshalb ist seine Tochter Miezi, unsere Nichte, auch ins Elend gestürzt. Vor einiger Zeit hatte sie aber Glück, die hiesige Poststelle übernehmen zu dürfen.
Meinem Franzl ging es weniger gut. Eines Tages haben sie ihn gefunden. Drunten in der Marchaue. Er wurde ans Ufer gespült. Im Dorf erzählen sie, er wäre vollg’soffen gewesen und in den Fluss gestürzt. Das glaube ich aber nicht. Er hat zwar ein bisserl viel getrunken. Aber ich denke, es war ein Unfall. Mein Franzl hatte sich den Gesellen um Graf Andrássy angeschlossen. Wissen S’, der ungarische Graf, der eine Trennung von Ungarn und Österreich wollte. Wenn unsere Kaiserin damals nicht vermittelt hätte, wäre es ja zum offenen Kampf gekommen. Aber so gärt es nur weiter …«
»Sie sagten, es war ein Unfall?«, unterbrach Moser.
»Ja, mein Herr, mein seliger Franz nahm jede Arbeit an, die er bekommen konnte. Öfter musste er mit seinem Nachen Sachen, die für die Ungarn bestimmt waren, über den Fluss bringen …«
»Sachen, welche Sachen?«, fragte Moser neugierig.
»Ach, alles mögliche. Fourage, Kleidung …«
»Und doch sicher auch Waffen und Munition«, wollte der Gast wissen.
»Ja, sicher, ab und zu. Aber warum fragen Sie?«
»Nun, nur so …Und meinen Sie, Ihr Mann ist damals
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