Moser Und Der Tote Vom Tunnel
war.
Über Nacht hatte ein Gewitter die Luft etwas abgekühlt, weshalb er beschloss, das Mittagessen im Gastgarten beim Wirt einzunehmen und sich nicht in der Gaststube zu verkriechen.
Der Schweinsbraten schmeckte fast so gut wie in München. Nachdem Janna die Teller abgeräumt hatte, fasste sie sich ein Herz und fragte den auswärtigen Gast: »Gnädiger Herr, Sie haben gestern den Namen ›Tschulnigg‹ erwähnt. Handelt es sich um Anton Tschulnigg?«
»Ja, Anton Tschulnigg. Kennen Sie ihn?«
»Früher hat man ihn in unserem Gasthaus öfter angetroffen. Er war ein Bekannter unseres ehemaligen Wirts, der dieses Etablissement besessen hat. Vor zwei Jahren ist der aber spurlos verschwunden und die Bank versteigerte das Gebäude. Man munkelt, es sei hier früher nicht mit rechten Dingen zugegangen. Angeblich verkehrten in dieser Restauration allerlei Leute, die von der Polizei gesucht wurden. Im Hinterzimmer sollen irgendwelche Geschäfte abgewickelt worden sein. Das kann ich aber alles nicht bestätigen. Aschbacher hat das Gasthaus erst im vorigen Jahr übernommen und mich eingestellt. Er stammt nicht von hier, wissen Sie. Glaube, der Pfarrer hat ihn empfohlen. Und ich bin froh, dass er mir Arbeit gibt«, erklärte Janna.
»Warum interessieren Sie sich denn für Anton Tschulnigg?«, wollte Moser wissen.
»Ach, mein Herr, eigentlich stamme ich aus Břeclav, zu deutsch: Lundenburg, und kam als Magd zu einem Weinhauer im Nachbardorf. Dort war auch Miezi, meine Freundin, beschäftigt, die nun in der Postexpedition hier neben dem Gasthaus arbeitet. Sie hat mir die Stelle beim Aschbacher besorgt. Miezi, übrigens die Nichte der Kasmüllerin, ist völlig verzweifelt, weil ihr Liebster vor längerer Zeit verschwand. Er ist ein Bekannter von Anton Tschulnigg«, berichtete Janna.
Moser fragte: »Stammt dieser Mann zufällig aus Ungarn und heißt Zoltán Koloman?«
»Ja, aus Ungarn stammt er schon, heißt aber István Somody. Habe ihn jedoch noch nie gesehen, sondern kenne ihn nur aus Miezis Erzählungen. Sie hat gesagt, dass Tschulnigg mit István befreundet ist und er wohl mit diesem wegging. Vielleicht wissen Sie ja deshalb etwas über den Verbleib von István.«
Der Kriminalrat antwortete: »Nein, über den Verbleib von diesem István weiß ich nichts. Würde mich aber gern einmal mit Ihrer Freundin Miezi unterhalten.«
In diesem Moment stürzte der Stationsvorsteher des Bahnhofs über die Straße in den Gastgarten und rief laut: »Der Kaiser ist tot, der Kaiser ist tot …!«
Moser zuckte zusammen; Franz Joseph tot. Sicher ein Attentat. Die anderen Gäste umringten den Bahnbeamten, der das Telegramm eines Kollegen aus Wien schwenkte. Es stellte sich heraus, dass nicht der Kaiser Franz Joseph von Österreich tot war, sondern gestern der deutsche Kaiser Friedrich gestorben war. Nur hatte der Eisenbahner in seiner Aufregung vergessen, dies zu sagen.
Der Tod des beliebten Kaisers Friedrich musste ja auf Grund seiner Erkrankung seit Längerem erwartet werden. Er war also genau neunundneunzig Tage Kaiser, wie Moser für sich resümierte. Dann wurde dieses Jahr 1888 also zu einem Dreikaiserjahr. Ob der nicht einmal dreißigjährige Kronprinz Wilhelm seiner schwierigen Aufgabe gewachsen sein würde? Moser hoffte es inständig.
Aschbacher kam in den Garten und erklärte seinen Kunden: »Wir haben hier einen Gast aus Deutschland und sollten ihm unser Beileid ausdrücken.« Er ging auf Moser zu und gab ihm die Hand. Der Kriminalrat sah sich zu ein paar passenden Worten gezwungen, stellte jedoch klar, dass er sich in erster Linie als Bayer fühlte. Der bayerische König Otto beziehungsweise sein krankheitsbedingt ständiger Vertreter Prinzregent Luitpold waren in Bayern wesentlich populärer.
Nach Mosers Überlegungen konnte der Tod des beliebten Kaisers seine Mission in der Pannonischen Tiefebene nicht unterbrechen; er bestellte zum Nachtisch einen ›Mohr im Hemd‹ mit Schlagobers.
Als dieser von Janna gebracht wurde, fragte Moser, wo und wann er denn ihre Freundin Miezi treffen könne. Es stellte sich heraus, dass sie heute ihre Tante, die alte Kasmüllerin, besuchte. Der Kriminlarat freute sich über den Zufall und begab sich sofort auf den kurzen Weg zu seinem Quartier.
Neue Erkenntnisse
An der Straßenkreuzung nahe dem Gasthaus erblickte Moser zwei Männer und wurde unwillkürlich Zeuge ihrer lauten Unterhaltung: »… bist deppert …Was soll das denn? Der weiß nichts. Sicher gar nichts
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