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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Allerdings stößt anderen Männern diese Krankheit mit dem Namen »Alter schützt vor Torheit nicht« wohl aus anderen Gründen zu. Davon habe ich gelesen. Der eine spürt plötzlich, dass er nicht mehr lange Mann sein wird, und gerät darüber in Panik. Ein anderer meint, er habe sich in der Jugend nicht genügend ausgetobt. Beides trifft auf mich nicht zu. Was mir widerfahren ist, ist keine Krankheit. Eher ein Trauma. Ein Knochen bricht bekanntlich am leichtesten an der Stelle, an der er schon einmal gebrochen war. So ist auch bei mir die alte Wunde in meiner Seele durch einen Zufall erneut getroffen worden.
    Aber spielt es denn eine Rolle, aus welcher Laune des Schicksals heraus die Liebe über dich hereinbricht? Sie kommt einfach und reißt die Türen auf. Deine gewohnte Behausung wird auf einmal von unerträglich hellem Licht durchflutet. Du schaust dich selbst und dein Leben mit anderen Augen an, und dir gefällt nicht, was du siehst. Man kann sich als erfahrener Casanova ausgeben und das Ganze zu einem galanten Abenteuer machen; ehe man sich’sversieht, ist das Leuchten verblasst. Oder man weist dem ungebetenen Gast die Tür und dreht den Schlüssel um; nach einer Weile versinkt die Behausung erneut im gewohnten Dunkel. Oder man springt aufgeschreckt aus dem Fenster und flieht ans Ende der Welt. Ich habe eigentlich alle drei Dinge versucht. Nun muss ich ein weiteres Mittel erproben – einfach einen Schritt darauf zugehen und den Blick nicht abwenden. Das erfordert Mut.
    Diesen vernünftigen Monolog hielt Erast Petrowitsch sich selbst, aber je näher er dem Hotel kam, umso nervöser wurde er. Im Foyer dachte er sogar kleinmütig: Vielleicht ist ja Elisa nicht in ihrem Zimmer?
    Doch der Portier sagte, Frau Lointaine sei da, und rief dienstbeflissen oben an, nachdem er sich erkundigt hatte:
    »Wen soll ich melden?«
    »Fandorin …«
    Sein Hals wurde trocken. Ging die Kinderei wieder los?
    »Sie möchten heraufkommen.«
    Ich muss ihr zumindest mitteilen, dass ihr Mann ihr völlige Freiheit gewährt!, schrie Erast Petrowitsch sich an. Und was das Übrige angeht … Das ist dann ihre Sache!
    Derart ärgerlich gestimmt, begann er das Gespräch.
    Er sagte ihr, sie habe nichts mehr zu befürchten.
    Khan Altaïrski sei ein Nichtsnutz und ein kleiner Widerling, aber kein Mörder. Er würde auf jeden Fall für immer aus ihrem Leben verschwinden. Er würde zwar nicht in eine Scheidung einwilligen, ihr aber völlige Freiheit gewähren.
    Die Frage der beiden Petersburger Tode habe sich geklärt. Nach dem plötzlichen Tod des Kiewer Impresarios Furschtatski sei, wie in solchen Fällen üblich, eine Obduktion vorgenommen worden. Aus dem Telegramm, das er von der gerichtsmedizinischen Behörde erhalten habe, gehe hervor, dass ein Herzstillstand die Todesursache gewesen sei, es seien keine Spuren von Gift gefunden worden.Khan Altaïrski habe den traurigen Vorfall nur benutzt, um seine aufbegehrende Gattin einzuschüchtern.
    Anders im Fall des Tenors Astralow. In einem Telefongespräch mit dem ermittelnden Beamten habe er erfahren, dass die Schnittspuren des Rasiermessers nahezu identisch seien mit der Wunde, die das Leben von Herrn Schustrow beendet habe: ein Schnitt mit einer leichten Neigung von links nach rechts. Der Täter müsse entweder auf einem Stuhl gesessen oder direkt hinter dem Opfer gestanden haben. Am 11. Februar, dem Tag von Astralows Tod, gehörte Elisa bereits der Truppe der »Arche Noah« an, kannte Dewjatkin, und dieser war – was nicht verwunderlich sei (erlaubte sich Fandorin einzuflechten) – sofort in leidenschaftlicher Liebe zu ihr entbrannt. Auf welche Weise sich der Mörder mit dem Rasiermesser Zutritt zu Astralow und später zu Schustrow verschafft habe, sei noch nicht ganz geklärt, aber das könne man den Psychopathen ja selbst fragen. Nach allem, was geschehen sei, habe er keinen Grund mehr, etwas zu verbergen; außerdem prahlten Menschen seines Schlages gern mit ihren »Heldentaten«. Dewjatkin würde mit Freuden alles erzählen.
    Elisa hörte den Bericht an, ohne ihn zu unterbrechen. Die Hände hatte sie wie eine brave Gymnasiastin vor sich auf den Tisch gelegt. Die Augen der Schauspielerin ruhten unbeirrt auf Fandorins Gesicht, doch er zog es vor, zur Seite zu schauen. Um nicht aus dem Konzept zu geraten.
    »Genügen Ihnen meine Erklärungen, oder möchten Sie einen Blick auf das Telegramm werfen? Ich könnte überdies eine vollständige Kopie des gerichtsmedizinischen Gutachtens anfordern.

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