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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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die Florette sind Attrappen. Aber mit einem gezielten Schlag kann man damit die Haut durchstoßen – das habe ich mit meinem ersten Hieb geschafft.«
    »Na und? An einem Kratzer ist noch niemand gestorben.«
    »Das kommt auf den Kratzer an. Ich sagte doch, ich habe etwas aus meiner Garderobe geholt. Dort habe ich eine kleine Notapotheke mit Mitteln für alle Wechselfälle des Lebens. In unserer Truppe, müssen Sie wissen, passiert alles Mögliche. Herr Mefistow hat epileptische Anfälle, Wassilissa Prokofjewna
Vapeurs
1 , auch Verletzungen kommen vor. Und ich bin für alles und alle verantwortlich . Ich muss mich mit allem auskennen. In der Offiziersschule habe ich gelernt: Ein guter Kommandeur muss alles können.«
    »W-warum erzählen Sie mir das? Was geht mich Ihre Notapotheke an?«, unterbrach ihn Fandorin gereizt, verärgert, dass seine Herzensgeheimnisse für andere so offensichtlich waren.
    »Ich habe dort unter anderem auch ein Fläschchen mit dem konzentrierten Gift einer asiatischen Kobra. Das habe ich aus Turkestan mitgebracht. Ein unschätzbares Mittel gegen Nervenleiden. Unsere Damen haben häufig schwere hysterische Anfälle. Frau Lissizkaja bekommt, wenn sie sich hineinsteigert, regelrechte Krämpfe. Dann zwei Tropfen auf einen Wattebausch und die Schläfen damit eingerieben – und alles ist vorbei.« Dewjatkin demonstrierte, wie er das Gift einrieb. »Das hat mich auf eine Idee gebracht. Ich habe die Spitze eines Floretts mit Gift getränkt. Wie Laertes im ›Hamlet‹. Ich dachte: Wenn Fandorin Ippolit vergiftet hat, soll auch er an Gift sterben, das wäre Gottes Gericht. Die Florette sehen vollkommen gleich aus, auch ich wusste nicht, welches der beiden vergiftet war. Unser Duell war also nicht gespielt, sondern tatsächlich eines auf Leben und Tod. Wenn das Gift ins Blut gerät, setzen nach zwei Minuten die Todeskrämpfe ein, und dann kommt es zur Atemlähmung.«
    Erast Petrowitsch schüttelte den Kopf – das war doch Irrsinn.
    »Und wenn d-das vergiftete Florett Sie getroffen hätte?«
    Der Assistent zuckte die Achseln und antwortete: »Ich sagte doch, ich glaube an das Schicksal. Das sind für mich keine leeren Worte.«
    »Aber ich glaube Ihnen nicht!« Fandorin betrachtete die Florettspitze. Sie schien in der Tat feucht zu glänzen.
    »Vorsicht, stechen Sie sich nicht! Und wenn Sie mir nicht glauben – geben Sie her.«
    Erast Petrowitsch reichte ihm bereitwillig die Waffe und griff mit der Linken in seine Tasche, wo sein Revolver lag. Dieser Assistent war ein seltsamer Typ. Wer weiß, was von ihm noch zu erwarten war. Spielte er nur den Schwachsinnigen? Würde er sich gleich wieder auf ihn stürzen? Das wäre die einfachste Lösung. Fandorin wandte sich absichtlich ab, zum Glück konnte er Dewjatkins Bewegungen anhand der Schatten auf dem Fußboden verfolgen.
    Die Silhouette des einstigen Fähnrichs schwankte, fügte sich blitzartig zu zwei Hälften zusammen, der ausgestreckte Arm endete in der dünnen Linie des Floretts. Erast Petrowitsch war auf einen erneuten Angriff gefasst, sprang nach links und drehte sich um. Doch der Schatten hatte ihn getäuscht. Dewjatkin war in die andere Richtung gesprungen.
    Mit dem Schrei: »Ich wette einen Dukaten, du bist tot!« zielte er mit dem Florett auf die friedlich im Regal sitzende Ratte, durchbohrte sie jedoch nicht, sondern ritzte sie nur leicht und schleuderte sie gegen die Wand. Das Tier quiekte auf und rannte davon, Kelche und Vasen aus Pappe umstoßend.
    »Den Dukaten haben Sie verloren. Und weiter?«, fragte Erast Petrowitsch wütend. Er genierte sich für seinen erschrockenen Sprung. Gut, dass er wenigstens nicht den Revolver gezückt hatte.
    Aber Dewjatkin schien gar nicht bemerkt zu haben, dass Fandorin ihm ausgewichen war. Ganz vorsichtig wischte der Assistent die Florettspitze mit einem Taschentuch ab und rückte das Regal von der Wand.
    »Hier, schauen Sie.«
    Die Ratte lag auf dem Rücken und zuckte mit allen vier Füßen.
    »Bei dem kleinen Tier hat das Gift sofort gewirkt. Wie gesagt, ich wollte den Mörder bestrafen. Aber das Schicksal hat Sie freigesprochen. In meinen Augen sind Sie reingewaschen.«
    Erst jetzt glaubte Erast Petrowitsch, dass er nur durch ein Wunder einem unsinnigen, grausamen Tod entgangen war. Hätte er nicht wie immer Glück gehabt und ohne nachzudenken nach der vergifteten Waffe gegriffen, würde er jetzt wie die Ratte auf dem Boden liegen und krampfhaft nach Luft schnappen. Ein idiotischer Tod wäre das gewesen

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