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Moskito

Moskito

Titel: Moskito Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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südlicher Richtung. Ein ausgewachsener Rehbock schoß aus dem Wald und rannte auf die Fahrbahn direkt vor den Chevy, der ihn voll erwischte. Der Rehbock wurde auf die Böschung geschleudert, und der Wagen brach seitlich aus, drehte sich um hundertachtzig Grad, rutschte in den Graben und wieder heraus und prallte mit der rechten Heckseite gegen einen Baum. Die rechte hintere Tür und der Kotflügel waren eingedrückt. Das Rückfenster und die Schlußlichter waren zerbrochen. Der Rücksitz hatte sich aus der Verankerung gerissen und war in einem Winkel von etwa fünfundvierzig Grad nach oben gedrückt worden. Dadurch öffnete sich der Kofferraumdeckel.«
    Unverkennbar war Keller es im Geist wieder und immer wieder durchgegangen; diese gestelzten Formulierungen waren jener Bericht, den Keller zu dem Zeitpunkt, als der Unfall passiert war, nicht geschrieben hatte. Warum nicht? fragte sich Cavanaugh. »Wurde jemand verletzt?« half er Keller weiter.
    »Nur Abschürfungen und leichte Prellungen. Bei den beiden Insassen handelte es sich um männliche Weiße in Zivilkleidung, Alter zwischen vierzig und fünfzig. Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, daß niemand verletzt war, verlangte ich die Fahrzeugpapiere und den Führerschein des Fahrzeuglenkers zu sehen, der daraufhin ersuchte, mit seinem Begleiter unter vier Augen sprechen zu dürfen. Ich weigerte mich, dies vor der Feststellung der Personalien zu gestatten, worauf die beiden Männer einander ansahen und sich als Angehörige des Militärs auswiesen.«
    Plötzlich konnte Cavanaugh es vor sich sehen: die ausgestorbene Straße, links und rechts begleitet von hohen Bäumen, die stellenweise bis an den Fahrbahnrand heranreichten. Die einzige Beleuchtung die Lichter am Wagen des Sheriffs. Die Scheinwerferkegel der entgegenkommenden Fahrzeuge, die gleichmütig vorbeiziehen und nicht stehenbleiben, bloß um irgendeinen Raser zu sehen, dem der Sheriff im Morgengrauen aufgelauert hat. Der Lichtstrahl der Scheinwerfer, der wandernde Schatten auf die finsteren Gesichter der beiden Männer wirft, auf das des viel jüngeren Keller in seiner fast nagelneuen Uniform und auf den verunglückten Wagen, der mit weit aufgeklapptem Kofferraumdeckel halb in der Dunkelheit des Waldes steckt. Und in die warme Nachtluft mit ihrem Geruch nach Rehblut.
    »Ihre Ausweise besagten, daß sie beide den Rang eines Colonels bekleideten«, fuhr Keller fort, »und in Fort Detrick stationiert waren. Sie zeigten mir offizielle Befehle, aus denen hervorging, daß sie fachspezifisches Informationsmaterial ins Kriegsmarinezentrum in Dahlgren, Virginia, zu transportieren hatten. Die Herren sagten, daß im Interesse der nationalen Sicherheit kein polizeilicher Unfallbericht verfaßt werden sollte. Sie gaben mir eine Telefonnummer, unter der ich mir diesen Sachverhalt bestätigen lassen konnte und die ich über mein Handy anrief.«
    »Erinnern Sie sich an die Nummer?« warf Cavanaugh rasch ein.
    »Ja, aber damit läßt sich nichts anfangen. Ich weiß es deshalb, weil ich … weil ich sie später nochmal anrief. Einen Monat später, als diese ganze Geschichte in den Nachrichten war. Ich wollte einfach … Ich meine, der Unfall passierte in der Stadtgemeinde Newburg, nicht ganz einen Kilometer von der Brücke über den Potomac entfernt. Im Fernsehen hörte ich, daß die Seuche von Newburg ausgegangen war, also dachte ich … obwohl ich keine Moskitos aus den halb zerquetschten Metallbehältern im Kofferraum wegfliegen sah …«
    Nein, dachte Cavanaugh, Keller konnte keine Moskitos gesehen haben. Zu dem Zeitpunkt, als er seinen Wagen abgestellt, die Straße überquert und sich versichert hatte, daß die Wageninsassen unverletzt waren, mußten die Moskitos längst davongeflogen sein – in der Dunkelheit bereits unterwegs in den Wald, zu den unberührten Schluchten, den verstreuten Scheunen und den stillen Teichen aus stehendem, mit grünlichem Schaum bedecktem Wasser, das den neugeschlüpften Larven üppig Nahrung bieten würde.
    Keller sagte: »Als das Zentrum für Seuchenkontrolle und die Leute vom Gesundheitsdienst diesen Ratgeber für den Schutz vor der Krankheit herausgaben und die Armee anfing, Insektizide zu versprühen, da rief ich in Fort Detrick an. Die Vermittlung sagte mir, daß die beiden Colonels nicht dort stationiert waren. Sie existierten einfach nicht.« Mit ärgerlichem Tonfall fügte er hinzu: »Sie hatten mir falsche Papiere gezeigt.«
    »Und das haben Sie ihnen übelgenommen«, bemerkte

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