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Moskito

Moskito

Titel: Moskito Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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überträgt natürlich das Virus auf den Menschen, aber wollen wir annehmen, daß das Virus für Menschen harmlos ist. Das wäre nur logisch. Das nächste Moskito, das diesen Menschen sticht, kriegt mit dem Blut auch das Virus. Aber nur dann, wenn das Moskito einen Menschen sticht, der bereits einmal gestochen wurde. Das ist kein ausreichend zügiger Weg, um das Virus auf dreiundneunzig Prozent aller Parasiten auszubreiten. Nein, da muß mehr dahinterstecken.«
    Seine Logik beruhigte Melanie ein wenig, brachte ihre Gedanken weg von dem Grauenhaften und konzentrierte sie auf das Problem.
    »Was würden Sie zu folgendem sagen?« fuhr Joe fort. »Ich meine, das Virus mußte zuerst in die menschliche Bevölkerung von Yamdongi gebracht werden. Aber wie? Wie infizieren Sie ein ganzes Dorf mit einem Virus, das in den Blutkreislauf gelangen soll, ohne Aufmerksamkeit zu erregen? Sie brauchen eine Methode, die die Dorfbewohner bereits ohne Murren akzeptieren.«
    »Eine Impfung«, sagte Melanie tonlos.
    »Eine Impfung, genau. Im Impfserum muß sich nicht nur das Chloroquinderivat befunden haben, das man momentan gerade ausprobiert, sondern zusätzlich auch unser Virus. Ich würde wetten, daß zum jetzigen Zeitpunkt schon jeder Bewohner von Yamdongi das Virus im Blutkreislauf hat. Kranke Leute, gesunde Leute, einfach alle. Und außerdem würde ich wetten, daß das Virus, wenn wir es auseinandernehmen, über eine ganze Reihe von Mitteln und Wegen verfügt, auf längere Zeit der Aufmerksamkeit des menschlichen Immunsystems zu entgehen, damit es lange genug im Blutstrom bleiben kann, um an möglichst viele andere Dorfbewohner weitergegeben zu werden. Lieber Himmel, ich wünsche mir, wir hätten Blutproben aus Yamdongi! Wissen Sie, woher der Impfstoff kam?«
    »Brian Spencer sagte, die ›Ärzte ohne Grenzen‹ hätten ihn von der WHO erhalten.«
    »Von der WHO! Dann könnte er aus jedem der Signatarstaaten der WHO stammen, und bei der WHO müssen sich auch die Aufzeichnungen darüber befinden …«
    Hinter Melanie ging die Labortür auf. »Oh! Verzeihung …!« Die Tür wurde hastig wieder zugeschlagen.
    Melanie wirbelte herum, sah aber nicht mehr, wer es gewesen war. Sie hatte immer noch an Joe gelehnt dagestanden, seine Hände an ihrem Rücken; die Decke war längst an ihren Hüften hinabgeglitten, und ihr schwarzes Höschen war zu sehen. Sie hatten beide zerwühltes Haar – Melanie vom Schlaf, Joe vom Mangel daran …
    »Wer war es?«
    »Suzanne Dreyfuss«, sagte Joe. »Eine Labortechnikerin.«
    »O Gott. Und wir stehen da wie … wie … klatscht sie?«
    Joe zuckte die Achseln. »Sie klatschen alle. Machen Sie sich deshalb keine Sorgen.«
    »Keine Sorgen? Joe, haben Sie auch nur die geringste Ahnung, wie schwer ich daran gearbeitet habe, jeden Anschein zu vermeiden, ich … Scheiße! Scheiße! Scheiße!«
    Am Montag würde es diese Suzanne Wieheißtsiedochgleich im ganzen Zentrum ausposaunen! Und am Samstagnachmittag komme ich zufällig ins Labor Nummer 6, und stellt euch vor, da stehen sie beide, und sie trug bloß ein … Scheiße!
    Joe starrte sie mit gerunzelter Stirn an. »Regen Sie sich doch nicht so auf, Mel. Ist doch keine Katastrophe, oder?«
    Er hatte kein Gefühl dafür. Würde es nie haben. Und jetzt, wo sie darüber nachdachte, kam Melanie darauf, daß das einer der Gründe war, warum sie sich bei Joe immer so wohlfühlte: er hatte ›kein Gefühl‹ für die üblichen gesellschaftlichen Barrieren und marschierte daher geradewegs durch sie hindurch. Und das machte alles so viel aufrichtiger und normaler. Sie beruhigte sich.
    »Was mich jetzt interessiert«, sagte Joe, »ist der Mechanismus, den das Virus einsetzt, um das Plasmodium zu vernichten. Vielleicht blockiert es den Reproduktionsapparat oder stört die Nahrungsaufnahme des Plasmodiums. Stanford leistet auf diesem Gebiet wirklich gute Arbeit … Verdammt! Wir brauchen das lebende infizierte P. reading, wir brauchen Blutproben, wir brauchen – Mel? Hören Sie mir zu?«
    Nein. Ich denke über die Vorteile der Insensitivität nach. »Selbstverständlich! Aber gehen wir doch alles noch einmal detailliert durch, ja?«
    Er führte sie tiefer in die Welt seiner Daten und Folgerungen hinein, und sie stand da in ihrem schwarzen Höschen, nickte dazu und verlor sich in den schrecklichen, faszinierenden Erkenntnissen, die ihnen die toten Moskitos aus dem Dorf Yamdongi in der Kisangani-Region der Demokratischen Republik Kongo gebracht

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