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Moskito

Moskito

Titel: Moskito Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Regierung, für die sie das Gerüst abgab, auf einer soliden Grundlage. Konkrete Fälle von Unredlichkeit mochten zwar vorkommen, aber das Gesetz stellte sicher, daß sie nicht ins Uferlose wachsen konnten, ohne früher oder später aufgedeckt und verurteilt zu werden. Und das war der Grund, weshalb Cavanaugh FBI-Agent geworden war: um zu tun, was zum Schutz des Konzepts von Recht und Gesetz getan werden mußte.
    Natürlich hatte er gelernt, genau darauf zu achten, wem er dies anvertraute.
    Aber es stimmte. Cavanaugh liebte seine Arbeit als FBI-Beamter, und das nicht einer Familientradition wegen oder weil es im Film so gut aussah oder weil Risiko und Aktivität oder eine gute Rente lockten. Er liebte es ganz einfach, auf der Seite von Recht und Gesetz zu kämpfen. Es gefiel ihm, die Bösen zu schnappen.
    Was aber, wenn die Seite des Gesetzes auch die Seite der Gesetzlosigkeit war? Was aber, wenn die Regierung, an die er trotz ihrer häufigen Sündenfälle im tiefsten Innern glaubte, was, wenn diese Regierung der Böse war? Wenn sie zu Testzwecken tötete, wenn sie amerikanische und afrikanische Dörfer mit biologischen Kampfstoffen verseuchte, nur um zu sehen, was passierte, wenn sie das Gesetz, als wäre das die natürlichste Sache der Welt, pervertierte, um ihre eigenen Morde auszuführen und zu vertuschen? »Na sicher«, sagten da wohl viele Leute (unter ihnen Cavanaughs Exfrau), »was erwartest du denn? So sind Regierungen nun mal, und die amerikanische Demokratie ist nicht anders. Sieh dir doch Watergate an.«
    Aber Watergate war kein Massenmord. Und eigentlich hatte der Gedanke an Watergate Cavanaugh stets beruhigt. Geringe Unredlichkeit, größte Ablehnung. Malaria reading stellte gerade das Gegenteil dar – sofern sie von einer Gruppe oder von Gruppierungen in Fort Detrick mit Absicht entworfen, hergestellt, freigesetzt und exportiert worden war. Größte Unredlichkeit, geringe Ablehnung. Unter anderem seitens jenes FBI, an das Cavanaugh glaubte.
    Und so man sich auf einen Kampf mit dem FBI einließ, drohte die wahre Gefahr dann, wenn man herausfinden wollte, wie faul sein Kern tatsächlich sein könnte. Um dann zu entscheiden, ob man es ertrug, weiterhin ein Teil davon zu sein.
    Schaff Augen dir von Glas / Und wie ein niederträcht’ger Schwindler tu, / Als säh’st du Dinge, die du doch nicht siehst. König Lear.
    Sah er ein Ding, das er ›doch nicht sah‹? Oder sah er nur allzu deutlich etwas, das existierte?
    Abigail hatte genug vom Schnüffeln an Blumenbeeten und vom Pinkeln auf die Sonnenuhr; sie kam zu Cavanaugh, stieß seine Füße an und winselte leise. Er stand auf und ging weiter. Die Historische Gesellschaft von Maryland, der Lebensmittelladen, die Apotheke, der Friseur, Bettys Bilderrahmen nach Maß. Die Luft roch nach Geißblatt. Manchmal schien es Cavanaugh, als würde ganz Maryland nach Geißblatt duften.
    Vielleicht sollte er schlafende Hunde nicht wecken. Schlafende Schakale, schlafende Geier, schlafende Fäulnis. Was machte es schon aus? In hundert Jahren würden sie so oder so alle tot sein: er, Melanie, ›Colonel Thompson‹ und ›Colonel Broderick‹, Direktor Broylin und alle Verwandten der Opfer. Tot und vergessen. Und die Welt würde sich weiterdrehen. Wer war Cavanaugh, um sich einzubilden, er könnte ihren Lauf ändern? Überheblichkeit, reine Überheblichkeit.
    Cavanaugh bemerkte, daß er länger gegangen war, als er vorgehabt hatte. Der Himmel war hell geworden, und die Sterne waren verschwunden. Abigail trottete zu der Raseninsel in der Mitte der Straße, auf der der obligatorische Mittelpunkt jeder Stadt im Süden der USA stand: das Bürgerkriegsdenkmal. Cavanaugh folgte Abigail.
    Aber es war kein Bürgerkriegsdenkmal. Es war ein Ehrenmal, aufgestellt am 11. November 1921 für die Soldaten aus Leonardtown, die im Ersten Weltkrieg gefallen waren. GLORIA PRO PATRIA MORI. Nun, vielleicht hatte die Wendung im Jahr 1921 weniger abgenutzt und mehr aus dem Herzen kommend geklungen. Es gab zwei separate Namenslisten.
     
    FARBIGE
    Raymond G. Biscoe, Gemeiner Soldat, 16. Brigade, verstorben in Camp Meade am 7.10.1918
    Joseph H. Branson, Gemeiner Soldat, Kompanie A, 333. Bataillon A.E.F., gefallen in Frankreich am 23.9.1918
    Thomas Briscoe, Gemeiner Soldat …
     
    Zehn Namen, alles in allem.
     
    WEISSE
    Siebzehn Namen. Alle ›Farbigen‹, die man auf eine eigene Liste gescheucht hatte, waren gemeine Soldaten gewesen. Die ›Weißen‹ hatten vom Gemeinen bis zum Oberleutnant

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