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Moskito

Moskito

Titel: Moskito Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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tappte selbst im Dunkeln. »Noch eine letzte Frage, Herr Doktor. Es stimmt doch im großen und ganzen, daß man bei einer Autopsie nur die Dinge findet, nach denen man Ausschau hält, nicht wahr? Ich will sagen, irgend etwas Auffälliges wie eine Schußwunde würde man bemerken, aber versteckte Dinge – leichte Unterschiede im Metabolismus, etwas in dieser Richtung – das würde doch bei einer Routineautopsie nicht aufscheinen, oder?«
    »Woran denken Sie da im speziellen?«
    Cavanaugh hatte keine Ahnung, woran er dachte. »Na ja … Unterschiede in den Gehirnen? Beim Blut?« Selbst in seinen eigenen Ohren klang er lahm.
    »Es ist richtig«, sagte der Direktor mit sachlicher Stimme, »daß eine Autopsie gewisse Untersuchungen umfaßt und andere nicht, da man an einem Leichnam buchstäblich Hunderte verschiedener Untersuchungen durchführen könnte.«
    »Vielen Dank, Herr Doktor.«
    »Eine Sache noch, Agent Cavanaugh. Ich möchte anmerken, daß wir hier im Soldiers and Sailors Memorial mit außerordentlichem Engagement für eine erstklassige medizinische Behandlung all unserer Patienten sorgen. Die Krankengeschichten in unserem Archiv beweisen es.«
    Fast dieselben Worte wie von der Direktorin des Dellridge Hospitals. Vielleicht, dachte Cavanaugh, müssen die Verwaltungsdirektoren von Krankenhäusern bestimmte Sprüche auswendig lernen, etwa so, wie die Polizeibeamten die Rechte eines Festgenommenen auswendig lernen müssen, um sie bei Bedarf zitieren zu können. Das hätte durchaus seinen Sinn, wenn man es sich überlegt, dachte er. Alles in allem fand Cavanaugh die Sache nach seinem Geschmack. Die Welt wäre besser dran, meinte er, wenn alles nach allgemein anerkannten und leicht erkennbaren Regeln abliefe.
     
    »Es ist nur so«, sagte Judy, »daß ich das Gefühl habe, ich kenne die Regeln nicht. In unserer Beziehung, meine ich.«
    Sie und Cavanaugh saßen auf ihrer winzigen Terrasse in der roten Abenddämmerung und tranken Wein. Judy, die Pestizide aus ökologischen Gründen ablehnte, hatte eine Mückenlampe auf der Terrasse installiert, so daß sie auch nach Einbruch der Dunkelheit hier sitzen konnten, ohne von Stechmücken bei lebendigem Leib gefressen zu werden. Alle paar Sekunden flog ein vom Glück verlassenes Insekt in das violette Licht der Lampe, wurde von einem elektrischen Feld gegrillt und fiel zu Boden. Kleine Insekten machten ein stilles Zap beim Grillen; Nachtfalter machten ein lautes ZAP!, das Cavanaugh die Haare im Nacken aufstellte. Er hatte gelesen, daß Insektenlampen gerade gegen Moskitos wirkungslos waren; 99 Prozent von dem, was sie grillten, waren andere Mücken. Doch das erwähnte er Judy gegenüber nicht; auch so war alles schon zerbrechlich genug.
    »Ich versuche ohnehin, es von deinem Standpunkt aus zu sehen, Robert«, fuhr sie mit sachlicher Stimme fort. »Ich weiß, daß dir etwas an mir liegt.«
    »Allerdings«, sagte Cavanaugh.
    »Und ich kann auch verstehen, daß du zögerst, eine neuerliche Ehekatastrophe zu riskieren.«
    »Ja.«
    »Was ich nicht verstehe, ist deine Annahme, daß wir beide eine Katastrophe sein würden.«
    Zap.
    »Was ich damit sagen will … Ich bin nicht Marcy.«
    »Das weiß ich doch!«
    »Obwohl ich manchmal glaube, du wünschst dir, ich wäre sie.«
    Zap!
    »Nein«, sagte Cavanaugh mit sorgfältig beherrschter Stimme, »ich wünsche mir nicht, du wärst Marcy.«
    Judy blickte hinaus über den Fluß. Bootslampen bewegten sich über das dunkle Wasser. In dem violetten Licht der Mückenlampe konnte Cavanaugh sehen, daß sie sich sehr bemühte, nicht zu weinen, ruhig und vernünftig zu bleiben. Und er fühlte sich noch schlechter. Judy war kein ruhiger Mensch, sie war gefühlsbetont und offen – das gehörte zu den Dingen, die sie so anziehend für ihn gemacht hatte. Und jetzt nahm er es ihr übel. War das fair?
    Konnte es stimmen, daß er sich wünschte, sie wäre mehr wie Marcy? Wie die kühle, beherrschte Marcy, die sich nie von dem, was er tat, aufregen oder verletzen ließ, und die ihn so einfach er selbst sein ließ …?
    Zap.
    Judy sagte: »Manchmal glaube ich, in Wirklichkeit weißt du gar nicht, was du willst.«
    Ich will, daß diese Unterhaltung endet! »Judy, ich … ich bin einfach noch nicht soweit.«
    Ihr Tonfall kletterte ein wenig höher. »Und wann, glaubst du, wirst du soweit sein?«
    »Dräng mich nicht.« In dem Moment, in dem es heraußen war, wußte er, er hätte es nicht sagen sollen. Aber sie überraschte ihn. Statt beleidigt oder

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