Moskito
Seton lachte nur und machte sich wieder daran, seine 302er auszufüllen, jene Formblätter, auf denen Informationen vermerkt wurden, die möglicherweise später vor Gericht Verwendung finden konnten. Seton füllte mehr verdammte 302er aus als alle Beamten, die Cavanaugh kannte. Und so hatte denn Dunbar Seton auch schon mehr als einmal für die Ausführlichkeit und den Umfang seiner Aufzeichnungen belobigt.
Keine Hinweise. Kein Gespräch mit Judy. Keine Fortschritte. Und als Cavanaugh sich nach einem wieder einmal vergeudeten Tag in Marcys Apartment zurückschleppte, war Marcy dort.
War es wirklich erst zwei Wochen her, seit sie nach Dallas abgereist war? Ja. Es schien ihm wie zwei Jahre.
»Hallo, Robert«, sagte Marcy. »Ein Junge war da und hat nach dir gefragt.«
»Was für ein Junge?«
Sie saß zusammengerollt in einer Ecke ihres schwarzen Sofas, sah sich eine Ballettsendung an und nippte an einem Scotch. Sie trug Jeans und ein ärmelloses, enges blaues Oberteil mit tiefem Ausschnitt; ihr blondes Haar war nachlässig hochgesteckt, und blonde Strähnen fielen ihr seitlich über die Schläfen und über ein Auge. Sie sah umwerfend aus.
»So ein komischer Kerl mit einem kleinen Knacks. Blinzelte unentwegt. Er schrieb seinen Namen und die Telefonnummer auf, aber er kann nicht wiederkommen, weil es ›zu weit zum Latschen‹ ist.«
Earl Lester. Und er war zu Fuß gekommen? Von … Schon von dem Gedanken daran wurde Robert müde. Aber vielleicht war der Junge per Anhalter gereist.
»Nimm dir einen Drink«, sagte Marcy. »Du siehst aus, als könntest du ihn brauchen.«
Er goß sich einen doppelten Wodka mit Tonic ein. Marcy sah zu, wie zwei Tänzer über die Bühne wirbelten und dazu mit den Armen fuchtelten; ihre Augen verfolgten aufmerksam das Geschehen auf dem Bildschirm. Plötzlich fand Robert es unendlich angenehm, daß sie keinen Versuch machte, ihn zu bedienen. Judy wäre längst aufgesprungen, ganz personifizierte Fürsorge, und das gab Robert immer das Gefühl, sich zum Dank dafür besonders aufmerksam und kommunikativ verhalten zu müssen. Er wollte nicht reden. Er fühlte sich nicht kommunikativ. Er wollte in Ruhe gelassen werden, um ungestört vor sich hinbrüten zu können.
Marcy sah sich den Rest der Ballettsendung an, während Robert noch einen doppelten Wodka trank. Als die Show vorbei war, stand sie auf und streckte sich. »Ich habe Hunger. Möchtest du was zu essen, bevor du gehst?«
»Willst du kochen?« In all den Jahren ihrer Ehe hatte Marcy etwa sechsmal gekocht – und kein einziges Mal mit denkwürdigen Ergebnissen. Sie zog Restaurants vor oder Hauszustellung oder Mitnahmemenüs oder Joghurt. Sie konnte ungestraft essen oder auch nicht essen, und weder das eine noch das andere schien Einfluß auf ihre Energien oder ihre Figur zu haben.
Sie lachte. »Also nein, das nicht! Ich dachte daran, eine Pizza zu bestellen.«
»Klingt gut«, sagte Cavanaugh. »Pepperoni und Oliven.«
Er trank sein Glas aus, während sie eine große Pizza mit Pepperoni, Oliven, Zwiebeln und grünen und roten Paprikaschoten bestellte. Robert haßte Paprikaschoten, aber das hatte sie wahrscheinlich vergessen. Er vermerkte dankbar, daß sie nicht gefragt hatte, daß sie ihn nicht nach seinen Abneigungen ausgeholt hatte, um sie dann bei der Bestellung demonstrativ vermeiden zu können. Marcy dachte in erster Linie an sich selbst. Und mit einem Mal fand Cavanaugh das erholsam.
Er beschäftigte sich mit seinem dritten Drink, während Marcy eine Feile holte und sich ihren Nägeln zuwandte, wobei sie vor sich hinsummte. Abigail, die auf dem Teppich vor dem Kamin geschlafen hatte, wachte auf, trottete zu Cavanaugh und leckte ihm über die Hand. Träge – oder vielleicht auch leicht angesäuselt – kraulte er sie an den Ohren, und ihr Schwanz trommelte dazu einen zufriedenen Rhythmus auf den Boden.
Als die Pizza kam, ließ Cavanaugh Marcy bezahlen. Er holte Teller, Servietten und Besteck aus der Küche. Es war ein gutes Gefühl, wieder einmal selbst etwas für sich tun zu können. Sie aßen auf dem Couchtisch. Zwischen den Bissen nahm Cavanaugh kleine Schlückchen vom Wodka, und Marcy erwähnte seine Leber mit keinem Wort.
»Verdammt, ich habe mich angepatzt!« rief Marcy. Ein Stück soßengetränkter Pepperoni war auf ihr blaues Oberteil gefallen. Sie entfernte den Pepperoni und rieb an dem Fleck herum, den er hinterlassen hatte, und das machte alles noch schlimmer. Unter dem Trikotstoff hüpften ihre festen
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