Mount Dragon - Labor des Todes
draußen im Sandsturm sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte und weshalb er seinen Job riskierte, indem er hier in Mount Dragon irgendein altes Stück Papier versteckte.
Mit dem abgeschabten Banjokasten in der Hand ging Carson durch die Kantine hinaus auf die Terrasse. Es war eine dunkle Nacht, in der sich der Mond hinter Wolken versteckte, aber Carson wußte, daß es sich bei der Gestalt, die da bewegungslos auf einem Stuhl saß, nur um Singer handeln konnte. Seit ihrer ersten Unterhaltung auf der Terrasse hatte Carson am Abend häufig Singer mit seiner alten Gitarre hier draußen sitzen sehen. Jedesmal hatte er ihm lächelnd zugewinkt oder ihm ein paar freundliche Worte zugerufen. Seit dem Tod von Brandon Smith allerdings war der Direktor immer stiller und zurückgezogener geworden. Die Ankunft von Teece und Vanderwagons plötzlicher Anfall in der Kantine hatten Singers trübe Stimmung noch verstärkt, so daß er jetzt, wenn er am Abend auf der Terrasse saß, die Gitarre meist unbenutzt neben seinem Stuhl stehen ließ und Carson höchstens einmal stumm zunickte. Während seiner ersten paar Wochen in Mount Dragon hatte Carson sich oft neben den Direktor gesetzt und mit ihm ein wenig geplaudert. Mit der Zeit war der Erfolgsdruck, der auf Carson lastete, so stark geworden, daß er seine Abende meist mit Online-Recherchen am Computer oder dem Ausarbeiten von Arbeitsberichten in seinem Zimmer zugebracht hatte. An diesem Abend aber nahm er sich bewußt Zeit für Singer, denn er mochte ihn und konnte es nicht mit ansehen, wie er vor sich hinbrütete und sich womöglich für die jüngsten Zwischenfälle und Rückschläge verantwortlich machte. Vielleicht konnte Carson ihn ja für eine Weile aus seiner traurigen Stimmung herausholen. Außerdem quälten ihn seit der Unterhaltung mit Teece nagende Zweifel an seiner Arbeit. Wer anders als Singer mit seinem unerschütterlichen Glauben an die Reinheit der Wissenschaft wäre besser dazu geeignet gewesen, sie zu zerstreuen?
Der Mond schaute hinter den Wolken hervor und tauchte die Terrasse in sein bleiches Licht. »Wer ist da?« fragte Singer scharf. Als er Carson erblickte, sagte er sichtlich entspannt: »Hallo, Guy.«
»Guten Abend«, erwiderte Carson und nahm neben dem Direktor Platz. Obwohl man die Terrasse vom Sand befreit hatte, stieg immer noch eine kleine Staubwolke auf, als er sich setzte. »Eine schöne Nacht«, meinte Carson, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte.
»Haben Sie den Sonnenuntergang mitbekommen?« fragte Singer leise. »Herrlich.« Als habe sie nach dem Sandsturm wieder etwas gutzumachen, hatte die Wüste für einen so farbenprächtigen Sonnenuntergang wie schon lange nicht mehr gesorgt. Ohne ein weiteres Wort beugte sich Carson über den Banjokasten und nahm sein Instrument heraus. Als Singer das sah, glomm in seinen müden Augen ein Funken von Interesse auf. »Ist das ein Gibson RB-drei?« fragte er.
Carson nickte. »Und zwar eines mit einem vierziglöchrigen Tonring. Dürfte etwa Baujahr 1932 sein.«
»Es ist wunderschön«, sagte Singer und betrachtete das Instrument im Mondlicht.» Du meine Güte, das ist ja noch mit echtem Kalbsleder bespannt.«
»Richtig«, sagte Carson und trommelte mit zwei Fingern auf dem Fell herum. »Aber das ist hier im trockenen Wüstenklima ein echter Nachteil, weil ich es ständig nachspannen muß. Wenn das so weitergeht, werde ich mir wohl doch eines aus Plastik kaufen. Da, sehen Sie es sich ruhig an.« Er gab Singer das Banjo.
Der Direktor begutachtete das Instrument von allen Seiten. »Hals und Klangkörper sind aus Mahagoni«, sagte er anerkennend, »und es hat sogar noch den original Presto-Saitenhalter. Der Flansch ist aus einer Bleikupferlegierung, habe ich recht?«
»Ja, deshalb verzieht er sich auch so leicht.«
»Ein echtes Museumsstück«, sagte Singer, als er Carson das Banjo zurückgab. »Wo haben Sie es her?«
»Von einem Cowboy, der auf der Ranch meines Großvaters gearbeitet hat. Er mußte eines Tages ganz schnell verschwinden und ließ dabei das Banjo zurück. Es lag jahrzehntelang auf einem Regal und setzte Staub an, bis ich aufs College ging und mir den Bluegrass-Bazillus einfing.«
Während die beiden miteinander sprachen, ließ Singers Anspannung merklich nach. »Lassen Sie doch mal hören, wie das gute Stück klingt«, sagte er und nahm seine alte Martin-Gitarre zur Hand. Er schlug nachdenklich einen Akkord an, stimmte ein paar Saiten und fing dann an, das Stück Sah Creek zu
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