Mount Dragon - Labor des Todes
sein Glas leer. Er stellte es auf den Boden und sah wieder hinüber zu Carson. »Nun, dann wird er in Radium Springs ja vermutlich die Geschichte mit Levine erfahren. Das wird es für uns auch nicht einfacher machen. Wenn er wiederkommt, hat er jede Menge neuer Fragen, die er uns stellen kann, darauf wette ich jeden Betrag.«
Carson spürte, wie es ihm eiskalt den Rücken hinunterlief. »Was für eine Geschichte mit Levine?« fragte er so beiläufig wie möglich.
Singer blickte ihn immer noch an. »Wundert mich, daß Sie noch nichts davon gehört haben, das Gerücht geht doch schon länger in der Kantine um. Charles Levine, der Vorsitzende der Stiftung für Verantwortungsbewußte Gentechnologie, hat vor ein paar Tagen in einer überregional ausgestrahlten Talkshow einige ziemlich geschäftsschädigende Dinge über uns verbreitet. Daraufhin ist der Kurs der GeneDyne-Aktie stark gefallen.«
»Tatsächlich?«
»Heute allein waren es fünfeinhalb Punkte. Bis jetzt hat die Firma dadurch einen Verlust von einer halben Milliarde Dollar hinnehmen müssen. Ich brauche Ihnen ja wohl nicht zu sagen, was das für unsere Belegschaftsaktien bedeutet.« Carson fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Die wenigen GeneDyne-Aktien, die er besaß, waren ihm zwar ziemlich egal, aber etwas anderes machte ihm große Sorgen. »Was hat dieser Levine denn gesagt?«
Singer zuckte mit den Achseln. »Das ist doch nicht so wichtig. Es war ja sowieso alles erstunken und erlogen. Das Problem ist bloß, daß die Leute solchen Mist nur zu gerne glauben. Und dann suchen sie so lange nach irgendeiner Kleinigkeit, die nicht in Ordnung ist, bis sie uns zwingen können, unsere Versuche einzustellen.«
Carson befeuchtete sich die Lippen. So hatte er Singer noch nie reden gehört. »Aber wie wird es nun weitergehen?«
»Brent wird mit der Sache schon fertig werden«, sagte Singer im Brustton der Überzeugung. »Das ist genau die Art von Auseinandersetzung, wie er sie liebt.«
Der Hubschrauber näherte sich dem Gebiet um den Mount Dragon aus östlicher Richtung, wo es über dem Raketenversuchsgebiet von White Sands keine zivile Luftkontrolle gab. Es war nach Mitternacht, der Mond war untergegangen, und der Wüstenboden sah wie ein endloser, schwarzer Teppich aus. Der Hubschrauber hatte extra für militärische Zwecke entwickelte, geräuscharme Rotorblätter und eine Turbine, bei der ein spezieller Generator das Klangbild veränderte. Die Positionslichter an Rumpf und Heckrotor waren ausgeschaltet, und der Pilot verwendete das Bodenradar, um sein Ziel anzufliegen, einen kleinen Sender, der in der Mitte einer runden Plastikfolie stand.
Neben diesem am Rand mit Steinen beschwerten Landeplatz stand ein Geländewagen, dessen Scheinwerfer ebenso wie der Motor ausgeschaltet waren. Als der Hubschrauber zu Boden sank, zerfetzte der Wind seiner Rotorblätter die dünne Plastikfolie. Kaum hatten seine Kufen auf dem Wüstenboden aufgesetzt, stieg ein Mann aus dem Geländewagen und rannte gebückt auf den Hubschrauber zu. In der Hand hielt er einen kleinen, mit dem Firmenzeichen von GeneDyne versehenen Metallkoffer. Am Hubschrauber öffnete sich eine Luke, und zwei Hände nahmen den Koffer entgegen. Dann wurde die Luke wieder geschlossen, und der Hubschrauber stieg in einer weiten Kurve hinauf in den Nachthimmel. Der Geländewagen fuhr mit abgeblendeten Scheinwerfern auf seiner eigenen Spur wieder zurück, und die von den Rotorblättern hochgewirbelte Plastikfolie wurde vom Wüstenwind fortgeblasen. Ein paar Minuten später war es in der Wüste wieder so still, als wäre nie etwas geschehen.
Am frühen Sonntagmorgen, noch vor Sonnenaufgang, war der Himmel wolkenlos. Der Fiebertank war für die allwöchentliche Sonderdekontaminierung geschlossen, und bis zu der für den Abend verpflichtend angesetzten Notfallübung konnten die Wissenschaftler tun, was sie wollten.
Während er seinen Kaffee kochte, blickte Carson aus dem Fenster seines Zimmers hinüber zu dem schwarzen Kegel des Mount Dragon im fahlen Morgenlicht. Normalerweise verbrachte Carson seine Sonntage wie die meisten seiner Kollegen, indem er eingeigelt in seinem Zimmer die Arbeitsnotizen in seinem PowerBook auf Vordermann brachte. Heute aber hatte er etwas vor, was er schon seit seiner Ankunft hatte tun wollen: Er wollte den Mount Dragon besteigen. Die Session mit Singer auf der Terrasse hatte in ihm die Lust am Banjospielen wieder geweckt, und er wußte, daß die durchdringenden Laute des
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