Mount Dragon - Labor des Todes
noch die Grundmauern von rechteckigen Räumen zu erkennen, während die vierte Seite sich auf einen großen, freien Platz öffnete. Auf dem Boden sahen sie Tonscherben und Stücke von Feuerstein im Sand liegen.
Sie begaben sich auf den großen Platz, der längst mit Yuccapalmen und Mesquitsträuchern zugewuchert war. De Vaca ging neben einem großen Ameisenhaufen in die Hocke. Die Insekten waren vor der Mittagshitze ins Innere des Haufens geflüchtet. Vorsichtig fuhr de Vaca mit der Hand über den aus lauter kleinen Steinchen zusammengetragenen Bau, als suche sie etwas.
»Was tun Sie da?« fragte Carson.
Anstatt ihm zu antworten, nahm de Vaca etwas von dem Ameisenhaufen und hielt es vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger. »Sehen Sie mal«, sagte sie.
Sie legte Carson einen winzigen Gegenstand auf die Handfläche. Es war eine perfekt geformte Perle aus Türkis, durch die ein feines Loch gebohrt war, nicht dicker als ein menschliches Haar. »Die Indianer haben diese Perlen mit speziellen Grashalmen poliert«, sagte de Vaca, »aber niemand kann erklären, wie sie diese winzigen Löcher gebohrt haben, wo sie doch nicht einmal über Metall verfügten. Vielleicht haben sie den Türkis stundenlang mit einem Knochensplitter bearbeitet.« Sie stand auf. »Kommen Sie, lassen Sie uns nach dem Kiva suchen.« Sie gingen auf die Mitte des Platzes. »Hier ist nichts«, sagte Carson.
»Dann trennen wir uns und suchen den Rand des Pueblos ab«, schlug de Vaca vor. »Ich übernehme den nördlichen Halbkreis, Sie den südlichen.«
Als Carson den Rand der Ruine erreicht hatte, ging er in einem weiten Bogen daran entlang. Dabei ließ er ab und zu die Blicke hinaus auf die Wüste schweifen. Der Sandsturm und die trockenen Winde hatten jegliche Fußspuren verweht, die hier vielleicht einmal zu sehen gewesen waren. Es war unmöglich festzustellen, ob Burt hier gewesen war oder nicht. Auch das unterirdische Kiva war nicht leicht zu finden. Vor Jahrhunderten, als das Pueblo noch bewohnt gewesen war, hatte es ein Dach auf der Höhe des Wüstenbodens gehabt, in dem nur ein Rauchabzugsloch seine Existenz verraten hatte. Inzwischen war das Dach vermutlich längst eingestürzt, und selbst wenn es noch intakt war, war es sicher unter Flugsand begraben. Trotz dieser Schwierigkeiten fand Carson das Kiva etwa hundert Meter südwestlich von seinem Ausgangspunkt. Das Dach war eingestürzt, so daß nur noch eine kreisförmige Kuhle im Wüstenboden davon zu sehen war. Die Kuhle hatte einen Durchmesser von gut zehn Metern und war ungefähr zwei Meter tief. Aus dem behauenen Lavastein der Wände ragten noch Reste der alten Dachbalken. De Vaca rannte auf Carsons Rufen hin herbei, und eine Weile standen sie nebeneinander am Rand des Kiva und blickten hinein. Weiter unten waren die Wände mit rotgefärbtem Lehm verputzt, und der Boden war vollkommen mit Flugsand bedeckt.
»Und wo ist das Sipapu?« fragte Carson. »Eigentlich müßte es sich genau in der Mitte des Kiva befinden«, sagte de Vaca. »Helfen Sie mir runter, dann sehe ich nach.« Carson gab ihr seine Hand, und sie glitt an einer Seitenwand hinunter. In der Mitte des Bodens fing sie an, mit beiden Händen im Sand zu graben. Carson sprang ebenfalls in das Kiva und half ihr dabei. In etwa fünfzehn Zentimetern Tiefe trafen sie auf einen flachen Stein. Aufgeregt befreite ihn de Vaca vom Sand und hob ihn an.
Unter dem Stein befand sich das Sipapu-Loch, und in diesem stand ein durchsichtiger Plastikbehälter mit dem Firmenzeichen von GeneDyne. In dem Behälter steckte ein kleines Notizbuch, dessen fleckiger Einband aus olivfarbenem Leinen an den Ecken umgeknickt war, damit es in die Rundung des Gefäßes paßte. »Madre de Dios«, flüsterte de Vaca. Sie holte den Behälter aus dem Loch, öffnete ihn und zog das Tagebuch heraus. Vor Carsons Augen schlug sie es auf.
Auf der ersten Seite stand das Datum 18. Mai. Darunter waren dicht beschriebene Zeilen in einer gut lesbaren Handschrift, deren Buchstaben so klein waren, daß jeweils zwei Zeilen zwischen die vorgedruckten Linien paßten.
Carson sah zu, wie de Vaca staunend die Seiten durchblätterte. »Das können wir unmöglich mit ins Labor nehmen«, sagte er. »Ich weiß. Also lassen Sie es uns hier lesen.« De Vaca blätterte zum Anfang zurück.
18. Mai
Liebste Amiko,
ich schreibe Dir aus der Ruine eines Kiva, eines Heiligtums der Anasay Indianer, das sich nicht weit von meinem Labor entfernt in der Wüste befindet.
Als ich vor dem
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