Mount Dragon - Labor des Todes
Nachwelt. Ich erinnere mich an einen Morgen vor etwa vier Monaten, an dem ich eine Flasche mit Blut in der Hand hielt. Obwohl es menschliches Blut war, war es aus Streptokokken hergestellt, Lebewesen also, die sich in allen nur denkbaren Aspekten vom Menschen unterscheiden. Streptokokken sind Bakterien, die unter anderem im Erdboden vor' kommen. Wir haben ihnen ein Gen eingepflanzt, das beim Menschen für die Produktion von Hämoglobin zuständig ist, und sie damit veranlaßt, diesen Grundstoff für unser Blut in großen Mengen zu produzieren.
Du fragst Dich vielleicht, warum wir dafür ausgerechnet Streptokokken genommen haben. Die Antwort ist einfach: Wir wissen vom streptococcus mehr als von so gut wie allen anderen Lebewesen auf diesem Planeten. Nur von den Streptokokken und den E-Coli-Bakterien ist das komplette Genom, die Summe sämtlicher Erbanlagen, lückenlos bekannt. Wir wissen also, wie wir seine DNA auseinanderschneiden, andere Gene einsetzen und das Ganze wieder zusammenbauen können.
Ich hoffe, Du bist damit einverstanden, daß ich Dir meine Vorgehensweise hier grob vereinfacht darstelle und auf unnötige Details verzichte. Ich begann damit, daß ich Zellen aus der Innenseite einer menschlichen Wange entnahm (meiner eigenen übrigens) und daraus ein einzelnes Gen isolierte, das auf dem vierten Chromosom liegt. Es heißt lös rDNA, locus D3401. Dieses Gen habe ich millionenfach vermehrt und es Streptokokken eingepflanzt, die ich dann in großen, mit einer Eiweißlösung gefüllten Behältern heranzüchtete. Auch wenn es vielleicht nicht so klingt, meine Liebe, war bis dahin alles eigentlich sehr einfach. Ähnliches wurde Hunderte von Malen mit anderen Genen gemacht, darunter dem Gen, das für die Produktion von menschlichem Insulin verantwortlich ist. Im Prinzip brachten wir diesen Bakterien, die ja eine extrem primitive Lebensform sind, in ganz geringem Umfang menschliche Eigenschaf' ten bei. Man kann es sich so vorstellen, daß jede dieser Bakterien ein winzig kleines, unsichtbares Stück eines menschlichen Wesens in sich trägt. Und dieses kleine Stück Mensch übernimmt, bildlich gesprochen, die Kontrolle über die Bakterie und bringt sie dazu, unablässig nur noch das eine zu tun, nämlich menschliches Hämoglobin zu produzieren.
Das, meine Liebe, ist für mich das wahre Wunder der Gentechnologie, ein Versprechen, das niemals an Anziehungskraft verlieren wird.
Aber genau an diesem Punkt begannen auch die Schwierigkeiten. Damit Du besser verstehen kannst, was mir solche Probleme bereitete, muß ich etwas weiter ausholen. Das Hämoglobinmolekül besteht aus einer Proteingruppe, die man Globin nennt, und vier Hämo-Gruppen, die daran festgemacht sind. Das Molekül nimmt in unserer Lunge Sauerstoff auf und gibt dafür Kohlendioxid aus seiner Struktur ab, das von der Lunge ausgeatmet wird.
Um diese Aufgabe erfüllen zu können, ist das Hämoglobinmolekül ausgesprochen kompliziert aufgebaut und daher schwer nachzubilden. Hinzu kommt, daß reines Hämoglobin ein stark wirkendes Gift ist. Würde man einem Menschen nacktes Hämoglobin spritzen, würde er vermutlich daran sterben. Also muß das Hämoglobin mit etwas umhüllt werden. Normalerweise übernehmen diese Aufgabe unsere roten Blutkörperchen.
Für das künstliche Blut mußten wir also etwas entwickeln, was das Hämoglobin umschloß und es damit unschädlich machte, eine Art winziges Säckchen für das Molekül, wenn man so will. Aber es mußte ein Säckchen sein, das »atmungsaktiv« war, das Sauerstoff und Kohlendioxid ungehindert passieren ließ.
Unsere Lösung war folgende: Wir verwendeten als »Säckchen« Stücke aus den Membranen zerstörter Zellen. Um diese zu erhalten, verwendete ich ein spezielles Enzym mit Namen Lyase. Ab das geschafft war, kam noch das abschließende Problem: Wir mußten das ummantelte Hämoglobin aus der Lösung filtrieren, in der es sich befand. Vielleicht denkst Du jetzt, daß es sich dabei um das am wenigsten schwierig zu lösende Problem handelte...Aber dem war rocht so.
Wir züchteten die Bakterien in großen Behältern, und immer, wenn die Konzentration des Hämoglobins darin anstieg, vergiftete es alles andere, das in diesen Fässern war. Dadurch entstand ein heilloses Durcheinander: Hämoglobinmolekül zusammen mit toten und sterbenden Bakterien, dazu jede Menge DNA und RNA, Teile von Chromosomen und schließlich Schmarotzerbakterien, die irgendwie in die Lösung gelangt waren.
Dieses Gebräu galt es nun
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