Mount Dragon - Labor des Todes
Schlaglöcher der County Road 24 nach Osten. Die schmale Straße lief oben auf den Klippen an der Küste entlang. Als Bannister ein Fenster herunterkurbelte, hörte er tief unter sich das Donnern der Brandung, das Gekreisch der Möwen und den melancholischen Klang einer Glockenboje. Die Straße führte durch einen Fichtenhain und endete auf einer mit Blaubeerbüschen bestandenen Wiese, über die sich ein hölzerner Zaun zog. Vor einem schindelgedeckten Wachhaus hielt Bannister den Wagen an.
»Bannister vom Globe «, sagte er, ohne den Wachmann auch nur eines Blickes zu würdigen.
»Ja, Sir.« Das Tor ging auf, und Bannister stellte amüsiert fest, daß seine rustikal wirkenden Holzlatten von hinten mit schwarzgestrichenen Stahlträgern verstärkt waren. Da bricht keiner mit einer Autobombe durch, dachte er. Weil in der eichengetäfelten Empfangshalle des Hauses niemand war, ging Bannister weiter in den Gesellschaftsraum. Dort brannte in einem riesigen Kamin ein offenes Feuer, und eine Reihe von großen Flügelfenstern blickte hinaus über das in der Morgensonne glitzernde Meer. Im Hintergrund war leise Musik zu hören.
Zuerst dachte Bannister, er sei auch hier allein, aber dann entdeckte er einen Mann, der am entgegengesetzten Ende des Raumes in einem Ledersessel saß, Kaffee trank und Zeitung las.
Als der Mann die Zeitung umblätterte, sah Bannister, daß er weiße Handschuhe trug.
Der Mann blickte auf und sah ihn an. »Edwin!« sagte er lächelnd. »Danke, daß Sie gekommen sind.« Bannister erkannte den Mann auf Anhieb an den ungekämmten Haaren, den Sommersprossen, dem jungenhaften Gesicht und dem Fünfziger-Jahre-Sakko über dem schwarzen T-Shirt. Er war also doch gekommen.
»Schön, Sie zu sehen, Brent«, sagte er und nahm in dem Sessel Platz, den der Mann ihm wies. Automatisch blickte er sich nach einem Kellner um.
»Wollen Sie eine Tasse Kaffee?« fragte Scopes. Er hatte Bannister zur Begrüßung nicht die Hand hingestreckt. »Ja, bitte.«
»Wir bedienen uns hier selbst«, sagte Scopes. »Die Kanne steht dort drüben im Regal.«
Bannister stand wieder auf und goß sich aus einer Thermoskanne eine Tasse Kaffee ein. Das Gebräu sah nicht so aus, als ob es ihn zu Begeisterungsstürmen hinreißen würde. Nachdem sie eine Weile schweigend dagesessen waren, dämmerte es Bannister langsam, daß Scopes der Musik zuhörte. Er nahm einen Schluck von dem Kaffee, der wider Erwarten erstaunlich gut schmeckte.
Als das Musikstück zu Ende war, seufzte Scopes befriedigt. Er faltete die Zeitung zusammen und legte sie neben einer geöffneten Aktentasche auf den Boden. Dann zog er seine mit Druckerschwärze beschmutzten Lesehandschuhe aus und warf sie auf die Zeitung.
»Das ist Bachs Musikalisches Opfer«, sagte er. »Kennen Sie es?«
»Ein wenig«, log Bannister und hoffte, daß Scopes ihm keine weiteren Fragen dazu stellen würde. Er war alles andere als ein Musikkenner.
»Einer der Kanons daraus heißt >Quaerendo Invenietis< ->Fraget, und ihr werdet es entdecken^ Damit wollte Bach, daß der Hörer herausfindet, was für eine raffinierte Verschachtelung er für diesen Kanon gewählt hat.« Bannister nickte.
»Manchmal sehe ich das als eine Art Metapher für die Genetik an«, fuhr Scopes fort. »Man sieht einen fertigen Organismus - nehmen wir zum Beispiel einen Menschen - und fragt sich, nach was für einem komplizierten genetischen Code dieses wunderbare Lebewesen entstanden ist. Die nächste Frage lautet natürlich: Was wäre, wenn ich nur ein winziges Stück dieses Codes verändern würde? Wie würde das dann in Fleisch und Blut aussehen? Es ist genauso wie bei einem Kanon - hier kann eine einzige veränderte Note bisweilen die ganze Melodie verwandeln.«
Bannister langte in eine Tasche seines Jacketts und holte einen kleinen Kassettenrecorder hervor. Bevor er ihn einschaltete, zeigte er ihn Scopes, der durch Nicken sein Einverständnis signalisierte. Dann legte er das Gerät auf den Tisch und lehnte sich mit gefalteten Händen in seinem Sessel zurück. »Meine Firma ist in einer mißlichen Lage, Edwin«, begann Scopes.
»Wie das?« Bannister wußte zwar nicht, was Scopes ihm sagen wollte, aber er war sich im klaren, daß es sich um einen ziemlichen Knüller handeln mußte. Wegen einer Lappalie hätte der menschenscheue Firmenchef niemals seinen Adlerhorst hoch über dem Hafen von Boston verlassen.
»Sie wissen doch sicher, welche Anschuldigungen Charles Levine gegen GeneDyne erhebt. Ich habe gehofft, daß
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