Mount Dragon - Labor des Todes
Überraschung gut. Bei dieser Vorlesung allerdings hatte Genetic Policy, das Fachblatt der Stiftung, schon im Vorfeld dafür gesorgt, daß ihr ein gehöriges Medienecho sicher war.
Levine hörte auf herumzulaufen und trat ans Rednerpult. »Und damit möchte ich meine Erörterungen über die Tuittsche Konstante unter besonderer Berücksichtigung der Sterblichkeitsrate in Westeuropa abschließen, denn ich würde gerne Ihre Aufmerksamkeit noch auf etwas anderes richten«. Er räusperte sich. »Könnte ich bitte die Leinwand haben?« Das Licht im Hörsaal wurde dunkler, und von der Decke kam ein weißes Stück Stoff vor die Tafel heruntergefahren.
»In ein paar Minuten werde ich Ihnen auf dieser Leinwand ein Dia zeigen«, sagte Levine. »Ich habe keine Genehmigung, das zu tun, und mache mich damit genaugenommen sogar einer Verletzung der staatlichen Geheimhaltungsbestimmungen schuldig. Und wenn Sie jetzt hierbleiben, tun Sie das auch. Ich persönlich mache das ständig, wie Sie an meinen Artikeln in der Genetic Policy sicher schon erkannt haben. Es gibt eben nun mal Informationen, die öffentlich gemacht werden müssen, ganz gleich, um welchen Preis. Aber das nur nebenbei. Ich gebe jetzt allen, die lieber den Hörsaal verlassen möchten, Gelegenheit dazu. Bitte gehen Sie, wenn Sie wollen, denn ich kann von niemandem verlangen, daß er hierbleibt.« In dem schwach erhellten Saal waren aufgeregtes Geflüster und das Rascheln von Notizbuchseiten zu hören, aber niemand stand auf.
Levine blickte zufrieden in die Runde, bevor er dem Studenten am Diaprojektor zunickte. Kurz darauf war auf der Leinwand ein Schwarzweißbild zu sehen.
Levine, dessen Schatten am unteren Rand des Dias aussah wie der eines Mönches mit Tonsur, blickte hinauf zu dem Bild. »Diese Aufnahme wurde am 1. Juli 1985 vom Aufklärungssatelliten TB-17 gemacht, der in einer sonnensynchronen Bahn in achthundert Kilometern Höhe um die Erde kreist«, begann er. »Offiziell ist dieses Bild noch nicht für die Öffentlichkeit freigegeben, obwohl es das durchaus verdient hätte.« Levine lächelte, und im Hörsaal kam vereinzelt nervöses Gelächter auf.
»Was Sie sehen, ist der Ort Nowo Druschina in Westsibirien. An der Länge der Schatten können Sie erkennen, daß das Bild am frühen Vormittag aufgenommen wurde, was übrigens eine ideale Zeit für Aufklärungsaufnahmen ist. Beachten Sie bitte die beiden geparkten Autos an der Straße und die reifenden Kornfelder rings um den Ort.« Das Dia wurde durch ein anderes ersetzt. »Und hier sehen wir denselben Ort drei Monate später. Fällt Ihnen dabei etwas Besonderes auf?« Niemand im Hörsaal sagte etwas.
»Nun, die Autos stehen immer noch an genau derselben Stelle, und die Felder sind jetzt so reif, daß sie dringend abgeerntet werden müßten.«
Wieder war ein neues Dia zu sehen.
»Hier haben wir noch einmal den Ort Nowo Druschina, diesmal im April des folgenden Jahres. Die Autos haben sich noch immer nicht bewegt, und die Felder liegen brach. Das Getreide wurde noch immer nicht geerntet. Dieses Bild fanden die Fotoauswerter der CIA ausgesprochen interessant.« Levine machte eine Pause und blickte in die Runde der gespannt zuhörenden Studenten.
»Es war nämlich nicht nur hier so. Überall in der sogenannten Sperrzone vierzehn, einem etwa zweihundert Quadratkilometer großen Gebiet, in dem es außer Nowo Druschina noch ein weiteres halbes Dutzend Ortschaften gab, bot sich dasselbe Bild. Nirgends waren auch nur die geringsten menschlichen Aktivitäten zu beobachten. Also beschlossen unsere Militärs, sich die Sache aus der Nähe zu betrachten.« Ein neues Dia erschien.
»Das ist eine digital verstärkte Vergrößerung der ersten Aufnahme, bei der die meisten Aufnahmefehler elektronisch herausgefiltert wurden. Beachten Sie den verwischten, länglichen Gegenstand neben der Straße vor der Kirche. Er sieht zwar aus wie ein Holzscheit, ist aber eine menschliche Leiche, wie Ihnen jeder Fotoexperte des Pentagon bestätigen kann. Nun zeige ich Ihnen denselben Ausschnitt aus der Aufnahme sechs Monate später.«
Alles war genauso wie auf dem vorherigen Dia, nur daß der längliche Gegenstand jetzt nicht mehr grau, sondern weiß aussah.
»Die Leiche ist jetzt bereits vollständig skelettiert. Beim Auswerten vieler solcher Vergrößerungen fanden die Militärs unzählige Skelette, die, ohne begraben worden zu sein, auf den Straßen und mitten in den Feldern lagen. Zuerst wußten sie nicht, wie sie sich das
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