Mount Dragon - Labor des Todes
Röntgenaufnahmen in ein dreidimensionales Modell des X-FLU-Moleküls umzurechnen. Etwa eine Minute lang bemerkten die Wissenschaftler, die in der Zentrale von GeneDyne arbeiteten, daß der Computer beträchtlich langsamer wurde, weil mehrere Billionen Fließkomma-Berechnungen ausgeführt und zurück nach Mount Dragon geschickt werden mußten.
Carson und de Vaca sahen zu, wie auf dem Bildschirm des Computers ein atemberaubend komplexes Bild aus zusammengeballten, bunten Kugeln entstand, die in satten Rot-, Orange- und Gelbtönen schimmerten. Es war das Proteinmolekül, aus dem die Eiweißhülle des X-FLU-Virus bestand. »Da ist es«, sagte Carson und blickte über de Vacas Schulter auf das Molekül.
»Die Ursache von Tod und Verderben«, hörte er de Vacas Stimme aus dem Helmlautsprecher. »Und trotzdem ist es wunderschön.«
Wie hypnotisiert starrte Carson eine Weile auf das Bild. Dann richtete er sich auf. »Nun lassen Sie uns die zweite Probe durch den GEF-Filterprozeß schicken. Es ist ohnehin fast Zeit für die Dekontamination, und da müssen wir den Fiebertank sowieso für zwei Stunden verlassen. Wenn wir wiederkommen, ist der Filtrierprozeß vorbei, und wir können die beiden Moleküle miteinander vergleichen.«
»Ich weiß zwar nicht, was das bringen soll«, grummelte de Vaca. »Aber ich bin zu müde, um zu widersprechen. Gehen wir.«
Als das zweite gefilterte X-FLU-Molekül auf dem Bildschirm erschien, brach zwanzig Meter über ihnen der Morgen an. Wieder bewunderte Carson die surreale, tödliche Schönheit des Gebildes.
»Dann lassen Sie uns jetzt die beiden Moleküle nebeneinander betrachten«, sagte Carson.
De Vaca teilte den Computerschirm in zwei Fenster, holte das Bild des ungefilterten X-FLU-Moleküls von der Festplatte und plazierte es neben das des gefilterten. »Ich sehe keinen Unterschied«, sagte sie. »Rotieren Sie beide Moleküle um neunzig Grad auf der X-Achse«, sagte Carson. »Immer noch kein Unterschied.«
»Dann um neunzig Grad auf der Y-Achse.« Sie sahen zu, wie die Bilder sich aus einem anderen Winkel auf dem Schirm aufbauten. Auf ein mal zuckten sie beide gleichzeitig zusammen.
»Modre de Diosl« hauchte de Vaca.
»Da, sehen Sie!« sagte Carson aufgeregt. »Eine der tertiären Schleifen hat sich bei dem gefilterten Molekül gelöst. Auf der ganzen Seite sind die Disulfidbrücken aufgebrochen.«
»Beide Moleküle haben dieselbe chemische Zusammensetzung, aber unterschiedliche Strukturen«, sagte de Vaca staunend. »Sie hatten recht.«
»Wie bitte? Habe ich mich eben etwa verhört?« fragte Carson und sah sie grinsend an.
»Haben Sie nicht, cabron. Diese Runde geht an Sie.«
»Die Struktur eines Proteins ist es, worauf es in diesem Fall ankommt«, sagte Carson und trat vom Computer zurück. »Jetzt wissen wir, warum das X-FLU-Virus immer wieder zu seiner tödlichen Form zurückmutiert. Bisher haben wir jedesmal, bevor wir einen In-vivo-Versuch gemacht haben, die Lösung mit dem GEF-Prozeß gefiltert. Dabei ist es offenbar genau dieser Prozeß, der die Mutation bewirkt.«
»Burts Filtermethode ist an allem schuld«, ergänzte de Vaca. »Er war also von vorneherein zum Scheitern verurteilt.«
Carson nickte. »Burt hätte bestimmt als allerletzter vermutet, daß der von ihm erfundene Prozeß fehlerhaft sein könnte. Schließlich hatte er sich ja bisher bestens bewährt. Auch wir haben den Fehler immer an der falschen Stelle gesucht. Dabei haben wir alles richtig gemacht, angefangen mit dem Gen-Splicing. Ich komme mir fast vor wie jemand, der aus den Trümmern eines Flugzeuges die Absturzursache herausfinden soll und dann erfährt, daß eine falsche Anweisung des Fluglotsen für das Unglück verantwortlich war.«
Müde lehnte er sich mit dem Rücken an einen Schrank. Je mehr er sich der vollen Tragweite seiner Entdeckung bewußt wurde, desto aufgeregter wurde er. »Verdammt noch mal, Susana«, sagte er schwer atmend. »Endlich haben wir es geschafft. Das Problem ist gelöst! Wir müssen eine andere Filtriermethode anwenden, das ist alles! Auch wenn das einige Zeit in Anspruch nehmen wird, so wissen wir jetzt, was das Virus so tödlich gemacht hat. Und das bedeutet, daß X-FLU so gut wie produktionsreif ist.« Carson stellte sich bildlich vor, was Scopes für ein Gesicht machen würde, wenn er das erfuhr. De Vaca sagte nichts.
»Sie stimmen doch mit mir überein, oder?« wollte Carson ihr auf die Sprünge helfen. »Ja«, sagte de Vaca.
»Wo ist dann das Problem? Warum
Weitere Kostenlose Bücher