Mount Dragon - Labor des Todes
Lautsprecher des Notebooks. Einem Laien wären Ton und Landschaft surreal und bizarr vorgekommen, aber Scopes, der oft und gerne ganze Nächte lang durch diesen digitalen Dschungel streifte, waren sie so vertraut wie der Garten seines Elternhauses. Mit dem Trackball seines Power Books durchwanderte Scopes die Landschaft, sah sich um und lauschte nach ungewöhnlichen Geräuschen. Einen Augenblick lang war er versucht, einen ganz speziellen Ort aufzusuchen, aber dann wurde ihm klar, daß er dazu keine Zeit hatte.
Dann setzte er sich abrupt auf und atmete hörbar aus. Etwas in der Landschaft war nicht in Ordnung. Es war ein unsichtbarer Faden, der Scopes nur deshalb auffiel, weil er etwas verdeckte, was hinter ihm lag. Als Scopes sich mit dem Trackball über diesen Faden bewegte, hörte das Geräusch aus dem Lautsprecher mit einemmal auf, und Scopes befand sich in einem schwarzen Tunnel, einem Datenloch im Cyberspace. Scopes wußte genau, was er da gefunden hatte: einen verborgenen Datenkanal, den er möglicherweise übersehen hätte, wenn er nicht gar so sorgfältig versteckt gewesen wäre. Wer auch immer diesen Kanal programmiert hatte, mußte ein verdammt gewiefter Bursche sein. Gewiefter als Levine, soviel stand fest. Der Professor war zwar auf seinem Spezialgebiet ein brillanter Kopf, aber seine bescheidenen Computerkenntnisse waren immer schon sein wunder Punkt gewesen. Jemand mußte Levine geholfen haben.
Scopes holte sich aus seiner digitalen Trickkiste eine elektronische Falle und machte sie scharf. Dann folgte er langsam und mit äußerster Vorsicht dem labyrinthartig gewundenen Faden, der sich kaum sichtbar durch die Landschaft zog. Oft verlor er den Anschluß.
Carson fand de Vaca im Labor C bei der Arbeit. Sie hatte ein kleines Reagenzglas mit PurBlood in die Sicherheitswerkbank gestellt, das noch dampfte, weil sie es gerade aus dem Gefrierschrank geholt hatte.
»Sie waren acht Stunden lang fort«, hörte Carson ihre Stimme über den lokalen Kanal der Sprechanlage. »Haben die Sie etwa zur Ordensverleihung nach Boston geflogen?« Carson ging zu seinem Stuhl und setzte sich, ohne auf ihre spitze Bemerkung zu reagieren. »Ich war in der Bibliothek und habe mich in den Archiven umgesehen«, sagte er statt dessen. De Vaca drehte ihren Computer so, daß Carson das Display lesen konnte. »Hier, sehen Sie sich das einmal an.« Carson saß eine Weile bewegungslos da. Dann erst wandte er sich dem Computer zu. Alles hätte er jetzt lieber getan, als zu erfahren, was de Vaca möglicherweise herausgefunden hatte. Auf ihrem Display waren nebeneinander zwei Bilder von Membranhüllen zu sehen, von denen eine glatt und sauber aussah, während die andere bizarr gezackt und voller häßlicher Löcher und Ausbeulungen war, wo Moleküle aus ihrer normalen Anordnung gerissen worden waren.
»Das erste Bild zeigt eine unfiltrierte PurBlood->Zelle<«, sagte de Vaca, »und auf dem zweiten kann man sehen, was mit PurBlood passiert, wenn es den GEF -Filterprozeß durchläuft.« Sogar durch die Lautsprecher in seinem Helm konnte Carson die Aufregung in de Vacas Stimme spüren. Weil sie sein Schweigen als Skepsis interpretierte, fuhr sie fort: »Passen Sie auf. Sie erinnern sich doch noch daran, wie PurBlood hergestellt wird. Nachdem das nackte Hämoglobin mit der Membranhülle umhüllt wurde, muß die Lösung gefiltert werden, um sie von Nebenprodukten wie Toxinen und Bakterien zu befreien, die beim Herstellungsprozeß anfallen. Für diese Filtrierung hat man Burts GEF -Methode genommen...«
De Vaca verstummte. Carson hatte sich zwischen ihr und der automatischen Überwachungskamera aufgebaut und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, sie solle still sein. Dabei schüttelte er hinter dem Visier den Kopf und formte mit seinen Lippen stumm die Worte »Nichts sagen«.
»Was ist los, cabron.« fragte sie. »Haben Sie vielleicht auf einem Peyote-Pilz herumgekaut?«
Carson schüttelte heftig den Kopf. Dann sah er sich suchend im Labor um, bis er schließlich zu einem Schrank ging und einen Behälter mit Desinfektionspuder herausnahm. Damit bestäubte er die Plexiglas-Oberfläche der Sicherheitswerkbank und schrieb, während er mit dem Rücken der Kamera die Sicht verstellte, mit dem Finger die folgenden Worte in die Staubschicht: Sprechanlage rächt benützen.
De Vaca starrte einen Augenblick darauf. Dann malte sie mit ihrem behandschuhten Finger ein großes Fragezeichen in den Puder.
Schreiben Sie HIERHER, was Sie mir sagen
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