Mount Dragon - Labor des Todes
denn so irrsinnig wichtig?«
Carson bemerkte, wie Singer das Ei wieder auf den Couchtisch legte und es sorgfältig zurechtrückte. Nacheinander machte er das mit allen anderen Gegenständen auf dem Tisch, als müsse er sie nach einem genau vorgegebenen Muster ausrichten. »Na, was ist, Carson?« drängte Nye mit lauter, scharfer Stimme. Singer blickte auf und musterte Carson mit wäßrigen Augen so erstaunt, als hätte er inzwischen vergessen, daß er da war. Auf einmal drängten sich andere Bilder in Carsons Bewußtsein. Wie BrandonSmith sich ständig mit den Händen über die Hüften gestrichen und wie sie den Krimskrams auf ihrem Tisch streng geometrisch angeordnet hatte. Wie sorgfältig Vanderwagon das Besteck poliert hatte, bevor er sich mit der Gabel das Auge ausgestochen hatte.
Das Auge. Auch Vanderwagons Augen waren blutunterlaufen gewesen. Und die von BrandonSmith ebenfalls.
Auf einmal wurde Carson auf schreckliche Weise alles klar.
»Das kann warten«, sagte er und trat rückwärts aus der Tür.
Nye beobachtete ihn scharf. Dann ging er ohne ein Wort zur Tür und machte sie hinter Carson zu.
In seiner halbdunklen Suite im Dark Harbor Institute wusch sich Scopes sorgfältig die Hände. Dann lief er rastlos auf und ab und wartete auf die Ankunft des Hubschraubers, der ihn zurück nach Boston fliegen sollte. Obwohl er aus den Fenstern einen wunderschönen Blick auf den stürmischen Atlantik gehabt hätte, hatte Scopes die schweren Vorhänge zugezogen. Auf einmal hielt Scopes inne und ging zu seinem PowerBook, um ein dünnes Kabel, das aus dem Computer hing, in eine Wanddose zu stecken. Er wußte, daß das Institut eine Standleitung zum Flashnet hatte, von dem aus er sich mit einem speziellen Schlüssel ins Firmennetz von GeneDyne einloggen konnte.
Das Gespräch mit dem Reporter vom Globe hatte ihm etwas klargemacht, das ihm schon seit Tagen unbewußt im Kopf herumgegangen war. Von Anfang an war es offensichtlich gewesen, daß Levines Informationen über BrandonSmith und X-FLU nicht von Quellen in den Gesundheitsbehörden, sondern eher aus der Firma selbst stammen mußten. Was aber Scopes bisher entgangen war, war der Zeitpunkt gewesen, an dem Levine mit seinen Enthüllungen an die Öffentlichkeit getreten war.
Levine wußte Dinge über X-FLU, die nicht einmal der aufdringliche Schnüffler Teece vor seiner Ankunft in Mount Dragon in Erfahrung gebracht haben konnte. Als Levine seine perfiden Anschuldigungen in der Sammy Sanchez Show losgelassen hatte, war Teece in New Mexico noch mitten in seinen Untersuchungen gewesen. In Mount Dragon gab es keine normale Telefonleitung für Ferngespräche; Scopes selbst hatte veranlaßt, daß alle Verbindungen vom Labor zur Außenwelt über das Firmennetz von GeneDyne laufen mußten. Wenn aber Levine über Informationen verfügte, die nicht aus einer x-beliebigen Quelle bei GeneDyne, sondern von einem Informanten in Mount Dragon stammen mußten, bedeutete das, daß Levine sich irgendwie Zugang zum Cyberspace von GeneDyne verschafft haben mußte.
Als Scopes im Netz seiner Firma war, arbeitete er sich rasch und zielstrebig vor, bis er nach wenigen Minuten in einer Netzregion war, zu der nur er allein Zugang hatte. Hier hatte er die Finger am Puls der gesamten Firmenorganisation und Zugriff auf riesige Datenbänke, in denen auch noch die allerkleinste Notiz zu irgendeinem Projekt der Firma gespeichert war. Hier konnte er sich jeden Bericht, jede E-Mail, jedes Programm und jede Online-Unterhaltung seiner Mitarbeiter aus den vergangenen vierundzwanzig Stunden auf den Bildschirm holen. Mit ein paar Tastaturbefehlen gelangte Scopes zu einem Networkserver in seinem persönlichen Bereich, auf dem nur ein einziges, umfangreiches Programm lief, dem er den klingenden Namen »Cypherspace« gegeben hatte.
Langsam erschien eine seltsame Landschaft auf dem Display seines Notebooks. Es war keine reale Landschaft, aber sie war auch viel zu komplex, als daß ein Mensch sie gezeichnet haben könnte. Die Landschaft, die sich vor Scopes' Augen auftat, war eine vom Computer entworfene Repräsentation des Cyberspace ihn und mußte ihn wieder suchen, aber dennoch kam er Schritt für Schritt seinem verborgenen Ziel näher: der Firma GeneDyne. Mittels seines Cypherspace-Programms hatte Scopes alle Datenströme, Speicherinhalte und im Netzwerk aktiven Programme in Formen, Oberflächen, Schatten und Klänge verwandelt. Jetzt kam zum Beispiel ein seltsam seufzendes Geräusch aus dem kleinen
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