Mount Dragon - Labor des Todes
der wenigstens ihrem Gesicht Schatten spendete. Wie gut, dachte er, daß er noch einmal umgekehrt war und die Hüte aus dem Stall mitgenommen hatte. Kleine Dinge wie diese konnten hier draußen einen Riesenunterschied machen. Wie dumm von ihm, daß er nicht auch noch nach ein paar weiteren Feldflaschen gesucht oder einen Nagel in einen von Muertos Hufen getrieben hatte. Noch vor zwei Jahren wären ihm solche Fehler nicht unterlaufen, auch nicht in einer Paniksituation wie im in die Luft gehenden Labor von Mount Dragon.
Wasser. Der Gedanke daran ließ Carson sich nach Nyes Satteltaschen umdrehen, in die er beim Aufbruch vom Vulkankegel die Feldflaschen gepackt hatte. Dabei fiel ihm auf, daß er seit einiger Zeit schon alle paar Minuten einen Blick auf die Satteltaschen warf. Während er es jetzt wieder tat, bemerkte er, daß auch de Vaca darauf starrte. Das war kein gutes Zeichen. »Was kann es denn schaden, wenn wir beide einen kleinen Schluck davon nehmen?« fragte sie schließlich, als habe sie seine Gedanken erraten.
»Es wäre dasselbe, als ob man einem Alkoholiker Whisky geben würde«, entgegnete Carson. »Bei einem Schluck würde es nicht bleiben, und bald wäre unser ganzes Wasser weg, das wir dringend für die Pferde brauchen.«
»Was macht es für einen Sinn, wenn die Pferde überleben und wir verdursten?«
»Haben Sie schon probiert, an einem Kieselstein zu lutschen?« fragte Carson.
De Vaca warf ihm einen düsteren Blick zu und spuckte einen kleinen, glänzenden Gegenstand aus. »Ich habe schon den ganzen Vormittag darauf herumgelutscht. Jetzt will ich etwas zu trinken. Wozu brauchen wir überhaupt diese Pferde, verdammt noch mal? Wir sind doch seit Stunden nicht mehr auf ihnen geritten.«
Die Hitze und der Durst machten sie unvernünftig. »Ohne Hufeisen würden sie auf der Lava schnell zu lahmen anfangen«, sagte Carson in einem so ruhigen Ton wie möglich. »Aber sobald wir wieder auf Sand kommen...«
»Scheiß drauf«, sagte de Vaca. »Ich trinke jetzt etwas.« Sie blieb stehen und griff nach der Satteltasche.
»Warten Sie«, sagte Carson. »Warten Sie einen Augenblick. Meinen Sie etwa, Ihre Vorfahren seien auch so disziplinlos gewesen, als sie die Wüste durchquerten?« De Vaca sagte nichts. »Sie haben mir selbst erzählt, wie Don Alonso und seine Frau durch die Jornada zogen und dabei vor Durst fast umgekommen wären.«
De Vaca blickte zur Seite und gab noch immer keine Antwort. »Wenn die sich damals nicht zusammengenommen hätten, dann wären Sie heute nicht auf der Welt.«
»Hören Sie auf, mich unter Druck zu setzen, cabron.«
»Aber es stimmt, was ich sage, Susana. Unser Leben hängt , davon ab, daß die Pferde nicht krepieren. Selbst wenn wir zu schwach zum Laufen wären, könnten sie uns noch tragen, vorausgesetzt, wir sorgen für ihr Wohlergehen.«
»Okay, okay, Sie haben's mir ausgeredet«, fauchte sie. »Lieber sterbe ich vor Durst, als mir noch länger Ihre Predigten anzuhören.« Sie setzte sich wieder in Bewegung und zerrte ihr Pferd am Zügel hinter sich her. »Na los, beweg deinen fetten Arsch«, murmelte sie dabei.
Carson blieb zurück und untersuchte Roscoes Hufe. Sie waren zwar an den Rändern ein wenig abgesplittert, ansonsten aber in Ordnung. Es waren keine Aufschürfungen oder Risse zu sehen, die bis hinauf zur Krone reichten und Anlaß zur Sorge gegeben hätten. Einen bis zwei Kilometer konnte Roscoe noch gut auf der Lava laufen.
De Vaca war inzwischen stehengeblieben und wartete auf Carson, wobei sie hinauf zu den Geiern blickte. »Zopilotes«, sagte sie. »Die warten wohl schon auf unsere Beerdigung.«
»Nein«, erwiderte Carson. »Die Vögel haben ein anderes Opfer im Auge. So schlecht steht es noch nicht um uns.« De Vaca schwieg eine Weile. »Tut mir leid, daß ich es Ihnen so schwer mache, cabron«, sagte sie dann. »Ich bin manchmal nicht gerade ein einfacher Mensch, falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten.«
»Das habe ich sehr wohl, und zwar schon bei unserer allerersten Begegnung.«
»In Mount Dragon habe ich geglaubt, daß ich jede Menge Grund hätte, mich zu argem. Und zwar über alles, über mein Leben und meinen Job. Aber wenn wir jemals wieder aus diesem Glutofen herauskommen sollten, dann verspreche ich Ihnen, daß ich das, was ich habe, sehr viel mehr schätzen werde.«
»Fangen Sie jetzt bloß nicht an, vom Sterben zu reden. Vergessen Sie nicht, daß wir es nicht nur uns allein schuldig sind, am Leben zu bleiben.«
»Meinen Sie im
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