Mount Dragon - Labor des Todes
Vaca wissen.
»Ja«, entgegnete Carson gereizt. »Das ist wieder so ein Trick.«
»Es kommt mir so vor, als hätten Sie mehr von ihm gelernt, als Sie zugeben wollen.«
Carson nervte dieses Thema, »jetzt hören Sie mir mal gut zu«, sagte er. »Wenn Sie unbedingt aus mir einen Indianer machen wollen, dann tun Sie sich keinen Zwang an. Ich weiß, wer ich wirklich bin.«
»Und ich komme immer mehr zu dem Schluß, daß Sie genau das eben nicht wissen.«
»Wollen wir uns denn jetzt über meine Identitätsprobleme unterhalten, oder was haben Sie vor? Wenn das Ihre Auffassung von Psychotherapie ist, dann wundert es mich nicht, daß Sie bei Ihrem Studium gescheitert sind.«
Mit einem Schlag verlor de Vacas Gesichtsausdruck alles Spielerische. »Ich bin nicht gescheitert, cabron, mir ist bloß das Geld ausgegangen. Das wissen Sie doch.« Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. »Sie sollten stolz darauf sein, daß Sie das Blut der amerikanischen Ureinwohner in Ihren Adern haben«, sagte de Vaca schließlich. »Ich bin ja auch stolz auf meine spanischen Vorfahren. «
»Sie sind keine Indianerin.«
»Ach, tatsächlich nicht? Da bin ich mir gar nicht so sicher, denn die Konquistadoren haben sich ziemlich rasch Indianerfrauen genommen. Wir sind alle Brüder und Schwestern, cabron. In den meisten alten spanischen Familien von New Mexico gibt es einen nicht unerheblichen Anteil an Indianerblut. Von den Azteken, den Nahuatl, den Navajo oder den Puebloindianern.«
»Aber mich lassen Sie bitte aus Ihrer multikulturellen Utopie heraus«, sagte Carson. »Und hören Sie endlich auf, mich cabron zu nennen.«
De Vaca lachte. »Denken Sie doch bloß einmal daran, daß Ihr whiskytrinkender Großonkel, für den Sie sich so genieren, uns eben das Leben gerettet hat. Ist das denn nicht etwas, worauf man stolz sein kann?«
Es war zehn Uhr vormittags, und die Sonne stand schon ziemlich hoch am Himmel. Es war dumm, wertvolle Energie auf diese fruchtlose Diskussion zu verschwenden. Carson prüfte seinen Durst und stellte fest, daß er sich wie ein ständig präsenter, stumpfer Schmerz anfühlte. Momentan war er nur lästig, aber im Lauf der Zeit würde er immer schlimmer werden. Sie mußten so rasch wie möglich von der Lava herunter und sich Wasser suchen.
Carson spürte, wie die Hitze von dem dunklen Gestein nach oben waberte. Sie war so stark, daß sie sogar die Sohlen seiner Schuhe durchdrang. Die Ebene aus schwarzer, rissiger Lava erstreckte sich nach allen Seiten, bildete Senken und Erhöhungen und endete in einem scharf umrissenen, dunklen Strich am Horizont. Ab und zu entdeckte Carson über der Lavaoberfläche eine Fata Morgana. Manche sahen aus wie blaue, klare Seen, deren Oberfläche vibrierte, als spiele ein leichter Wind auf ihnen, andere ähnelten weit entfernten Gebirgen aus phantastisch geformter Lava, und wieder andere zeigten knapp über dem Horizont in linsenförmiger Verzerrung surrealistisch wirkende Spiegelungen der Landschaft darunter. Um die Mittagszeit wurde alles weiß vor Hitze, mit Ausnahme der Lava, die immer schwärzer zu werden und alles Licht aufzusaugen schien. Ganz egal, wohin sich Carson auch wandte, er spürte ständig die unerträglich heißen Strahlen der Sonne, die erbarmungslos vom wolkenlosen Himmel herunterbrannte. Die Hitze hatte die Luft so sehr verdickt, daß sie ihm schwer und niederdrückend vorkam.
Als Carson hinauf in den Himmel sah, bemerkte er ein paar große Vögel, die sich von der Thermik im Nordwesten hoch in die Luft tragen ließen und dort langsame Kreise zogen. Höchstwahrscheinlich waren es Geier, die über einer verendeten Antilope kreisten. Hier in der Wüste gab es nicht viel zu fressen, nicht einmal für die Geier.
Carson betrachtete die schwarzen Pünktchen hoch am Himmel genauer. Es mußte einen Grund dafür geben, warum sie kreisten und nicht landeten: Vermutlich taten sich gerade andere Aasfresser an ihrer erhofften Beute gütlich. Vielleicht waren es Kojoten.
Das war sehr wichtig.
»Lassen Sie uns nach Nordwesten gehen«, sagte er und machte eine scharfe Wendung in Richtung auf die kreisenden Vögel. Carson erinnerte sich daran, daß er schon einmal in seinem Leben extremen Durst gelitten hatte. Das war vor vielen Jahren am Coal Canyon, einem entlegenen Teil der Ranch, gewesen. Carson war auf der Suche nach einem entlaufenen Brahman-Bullen seines Vaters gewesen und hatte an der Old Perillo sein Lager aufgeschlagen. Weil die Quelle jedoch versiegt war,
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